"Verbrechen und Strafe": Raskolnikow, Mörder aus Prinzip

(c) AP (Kerstin Joensson)
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Regisseurin Andrea Breth bringt Dostojewskis Roman „Verbrechen und Strafe“ auf die Bühne – die Uraufführung mit Jens Harzer in der Titelrolle ist ein außergewöhnliches Kunstwerk.

Dunkel und heruntergekommen schauen die Bühnenbilder aus, die Erich Wonder für „Verbrechen und Strafe“ geschaffen hat; Tiefgaragen, Unterführungen, fantastische Substandard-Wohnungen mit allerlei Gerümpel. Einmal steht sogar ein großes Dostojewski-Porträt ganz ohne Sinn auf die Seite gekippt mitten auf der Bühne. Davor frisst eine gefleckte Ratte Unrat. Eine passende Umgebung fürs Prekariat, ob im St. Petersburg von 1866 oder bei den Erniedrigten und Beleidigten von heute.

Nur manchmal gibt es zu viel Licht (Friedrich Rom) – wenn das Beil blitzt, wenn zwischen kurzen Szenen das Publikum mit Scheinwerfern geblendet wird. Soll es aufgeweckt werden, weil sich die erste Theaterpremiere der Saison bei den Salzburger Festspielen am Samstag über fast fünf Stunden zieht? Oder werden die Zuseher wie Rodion Raskolnikow (Jens Harzer) verhört?

Der Mörder aus philosophischer Überzeugung, von dem gleich in der Eingangsszene verraten wird, dass er lebenslänglich in sibirischer Haft bekommen hat, weil er einer Pfandleiherin (Elisabeth Orth) und ihrer Schwester (Swetlana Schönfeld) mit der Axt den Schädel zertrümmerte, steht von Anfang an unter Anklage. Er kauert zitternd und zerlumpt (Kostüme: Françoise Clavel) an der Rampe. „Du musst es wagen!“, fordert er. Raskolnikow ist sich selbst mit seiner tollen Idee, dass außergewöhnlichen Menschen alles erlaubt sei, der schlimmste Feind. „Ich habe keinen Menschen getötet, ich tötete ein Prinzip“, lautet einer der schauerlichen Sätze dieses Abends.

Unerbittlich wie ein Suchscheinwerfer

Nein, diese dunkle Dramatisierung von Dostojewskis Roman durch Regisseurin Andrea Breth ist nur für Ignoranten zu langsam, sie ist in ihrer psychologischen Raffinesse packend bis zum Schluss, fast wie das Original. Unerbittlich wie ein Suchscheinwerfer, präzise wie Untersuchungsrichter Porfirij Petrowitsch (Udo Samel), entfremdet wie ein Verurteilter legt Breth das nervöse Geflecht dieses bis heute die Sünden der Moderne entblößenden Werkes frei. „Wenn er schuldig ist, wird er kommen“, behauptet der Richter. Er wird recht behalten.

Breth hat mit hervorragenden Schauspielern ein außergewöhnliches Kunstwerk geschaffen, diese Uraufführung ist kein opulentes Theater im konventionellen Sinn, sondern ein Prozess der Selbstfindung. An Dostojewskis großen Romanen kann man zwar nur scheitern, aber diese Inszenierung scheitert auf höchstem Niveau. Es wundert, wie viel von diesem Wälzer (Grundlage ist die Übersetzung von Swetlana Geier) auf die Bühne gebracht wird.

Zum Erfolg trägt vor allem Jens Harzer bei, als schmächtiger Student mit lächerlicher Haube, als radikaler Theoretiker, der im Wahn mordet, bei der ehrbaren Dirne Sonja Marmeladowa (Birte Schnöink) die Liebe findet, die Strafe auf sich nimmt – eine außergewöhnliche, sensible Darstellung des Titelhelden. Rührend jung wirkt Sonja an seiner Seite, besonders wenn sie Gleichnisse aus der Bibel zitiert.

Stark sind Samel und Orth, die eine Doppelrolle als Mordopfer und Mutter Raskolnikows hat. Neben Harzer aber brilliert Sven-Eric Bechtolf als windiger Gutsbesitzer Swidrigaljow. Er bringt auch den beißenden Spott zur Geltung, der bei Dostojewski neben aller Tragik präsent ist – eigentlich schade, dass er, der sich Raskolnikow wesensverwandt fühlt, schließlich Selbstmord begeht.

In Ansätzen komisch wirkt Wolfgang Michael als betulicher, böser Hofrat Luschin, dem jedes Mittel recht ist, um an Raskolnikows Schwester Dunja (Marie Burchard hat viel Talent) heranzukommen. Gutes Charakterfach. In der Rolle von Sonjas durch Verzweiflung hart gewordener Mutter schließlich neigt Corinna Kirchhoff zum Übertreiben, Schönfeld hat als Vermieterin Lippewechsel auch einen ziemlich schrägen Part zu spielen. Und bei der Schwere des Diskurses wirken Sebastian Zimmler als Student Rasumichin und Uwe Bertram als Säufer Marmeladow wie Folklore.

Zu kleinen Schwächen der Inszenierung zählen Übertreibungen. Die Mordszene ist schwer symbolisch, wie in Zeitlupe wird gehackt, fließt Blut. Überzeugend aber sind jene Momente, in denen Raskolnikow sich die Schuld abwaschen will, später schüttet er in der Phase der Sühne wie Sisyphos Wasser von Eimer zu Eimer. Das ist ein beinahe religiöser Akt. Die Aufführung endet konsequent mit orthodoxem Kirchengesang (Musik: Bert Wrede, Sound: Alexander Nefzger). Zuvor hat Sonja, die Raskolnikow nach Sibirien begleitet, diesen gelehrt, was Barmherzigkeit und Gnade seien. Der naive Glaube besiegt den scharfen Intellekt.

Als „Verbrechen und Strafe“ 1866 erschien, war das ein Ereignis. Man bewunderte die suggestive Kraft. Sie bewirkte, schreibt der Philosoph Nikolaj Strachow, „dass Nervenstarke nahezu krank wurden und Nervenschwache gezwungen waren, die Lektüre aufzugeben.“ Diese Beklemmung war auch noch in der Inszenierung von Andrea Breth zu spüren.

Zum Stück

„Verbrechen und Strafe“ (1866) – frühere Übersetzungen: „Schuld und Sühne“ – zählt zu den großen Romanen Fjodor M. Dostojewskis (1821–81). Im Mittelpunkt: Der Mord des Studenten Raskolnikow in St. Petersburg.

Die Dramatisierung bei den Salzburger Festspielen, inszeniert von Andrea Breth, ist bereits vollständig ausverkauft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.07.2008)

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