„Die Räuber“: Eine schneidige Raubersgschicht

(c) AP (Kerstin Joensson)
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Perner-Insel, Hallein: Nicolas Stemann inszeniert Schiller ruppig und rockig. Die Aufführung dauert drei Stunden.

Ein alter Schlossherr mit dem sprechenden Namen Moor, zwei abtrünnige Söhne, ein Räuber der eine, der andere ein Tyrann, beide begehren dieselbe schöne Frau – klingt nach gutem Stoff für ein Fantasy-Drama, ist aber von Schiller, der seine Wut über Fürsten-Willkür und Feudalismus kurz vor der Französischen Revolution in sein wildes Schauspiel „Die Räuber“ packte: 140 Seiten voll brutaler Action inklusive Kindsmord und Nonnenvergewaltigung, komplizierter aber sind die endlosen Monologe.

Nicolas Stemann, ein Spezialist für Schwieriges, an Jelinek-Sprachkunstwerken erprobt, hat eine klare These entwickelt: Franz, die Kanaille, und Karl, der gute Sohn, sind eins. Die beiden Brüder wenden sich ab von der Welt ihrer Väter, wollen sich ein neues, anderes Leben bauen. Sie scheitern bzw. werden zu Borderlinern. Darum spaltet Stemann den Text von Franz und Karl auf vier Schauspieler auf, die im Chor sprechen bzw. einander auch widersprechen.

Vom Regietheater, das Klassiker-Figuren als unsere Zeitgenossen präsentiert, sagt sich Stemann im Programmheft los. Der gebürtige Hamburger, der ursprünglich Musiker werden wollte, inszeniert eine Rock-Oper. Der Untermalung des Aufbruchs der Franz-Karln mit klassischen Tönen folgt ein Absturz unter reichlichem Schlagzeug- und E-Gitarren-Getöse.

Auch Schiller war kein Chorknabe!

Zur Pause war das Urteil vieler Besucher bei der Premiere am Freitagabend fertig: Wer den „Räuber“-Text nicht gut kennt, wird sich in diesem Inferno nicht auskennen. Außerdem: schon wieder öde Verfremdung, eisiger Frost statt unserem Schiller mit seinen schönen Worten und edlen Taten! Andere Besucher, auch ältere, waren begeistert. Mit gutem Grund. Dass Schiller, notabene in der Zeit der „Räuber“, kein Chorknabe war, sondern soff und redete wie seine „Räuber“, lässt sich in Rüdiger Safranskis Schillerbiografie (dtv) nachlesen.

Stemann hat keine Kurzfassung gemacht, die Aufführung dauert drei Stunden. Am Ende entsteht zwar ein Eindruck von Ungeduld und Unfertigkeit – Franz hängt sich nicht selbst auf, sondern wird von seinen Alter-Egos dazu gezwungen, Karl liefert sich nicht der Justiz aus, sondern verschwindet einfach – insgesamt aber sind diese „Räuber“ konsequent und sprachlich perfekt erzählt. Die stärkste Poesie geht von den alten Schauspielern aus: Christoph Bantzer als Vater Moor, Katharina Matz und Peter Maertens in verschiedenen Rollen quasi als Kommentatoren des Geschehens.

Die Jungen (Philipp Hochmair, Daniel Hoevels, Felix Knopp, Alexander Simon) sind mitleid- und skrupellos. Amalia zu umwerben, fällt ihnen schwerer, als sie zu vergewaltigen. Maren Eggert spielt diese viel Geliebte mit aller Seele und Herbheit, außerdem singt sie herzergreifend. Amalia ist die einzige Wärme- und Lichtquelle dieser Aufführung, die Claudia Lehmann mit kongenialen Videos illustriert hat: vom Wirtshaus mit quietschrosa Dach über das Schloss und die schwäbische Dorf-Idylle im Mini-Format bis zum dickflüssigen Blut und dem unheimlich sich verwandelnden Wald. Stilistisch, in den szenischen Mitteln bietet die Aufführung wenig Neues: Rockmusik, Video, große Lautstärke, auch in den Sprechpassagen. Als Übersetzung eines schwierigen Klassikers ist sie dennoch sehr gut gelungen, eine Fusion von Popkultur und literarischem Erbe.

Das ist wohl die Zukunft. Manche Klassiker werden bearbeitet sein – oder sie werden nicht mehr sein. Menschen, die wie an diesem Wochenende zum Salzburger „Frequency“ und ähnlichen Festivals strömen, springen nur mehr in die Wortfluten von Goethe oder Schiller, wenn sie auch das Gefühl haben, dass diese Welt unmittelbar etwas mit ihnen zu tun hat. Die Epoche des Post-Regietheaters ist angebrochen. Spielen vom Blatt ist redlich und gut, noch besser aber sind volle Theaterhäuser.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.08.2008)

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