„Die Schutzbefohlenen“: Weinen mit Jelinek

(c) Barbara Semmler
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Was ist ein Vorzeigeflüchtling? Über einen Abend mit Asylwerbern, nach Jelineks „Die Schutzbefohlenen“.

Der Wachmann beziehungsweise Flüchtlingsbetreuer beziehungsweise Integrationsprojektleiter geht auf der Bühne auf und ab, ein Megafon in der Hand. „ORS“ prangt auf seiner Jacke, so heißt die Betreiberfirma des Erstaufnahmelagers Traiskirchen. Gut 30, 40 Menschen stehen hinter ihm aufgereiht: Männer, Frauen, Kinder, Erwachsene, mit und ohne Kopftuch, mit und ohne Bart. Sie sollen im Auftrag des Innenministeriums zu Vorzeigeflüchtlingen gemacht werden, erklärt der Mann mit dem Megafon (Bernhard Dechant): Sanftmütig, anspruchslos, dankbar sollen sie sein. Und natürlich sollen sie die deutsche Sprache beherrschen. „Wir überspringen das ,Ich, du, er, sie, es‘“, schlägt der Mann vor. „Wir springen gleich zur Gegenwartsdramatik.“

Genauer gesagt, zu Elfriede Jelineks „Die Schutzbefohlenen“: Angelehnt daran haben die Regisseure Tina Leisch und Bernhard Dechant mit Asylwerbern einen Theaterabend erarbeitet. Im Sprechchor rezitieren die Laiendarsteller Jelineks (natürlich stark gekürzte) Sprachkunst, dazwischen wird gesungen und in szenischen Einzelinterviews persifliert, wie verständnislose Beamte Flüchtlinge verhören. Obergrenzen werden genauso thematisiert wie landläufige Vorurteile.

„Schutzbefohlene“ für Schutzbefohlene

„Schutzbefohlene performen Jelineks Schutzbefohlene“, heißt das Stück, das seit September sporadisch an verschiedenen Orten aufgeführt wird – vor meist ausverkauften Reihen – und am Donnerstag im Audimax der Uni Wien im bisher größten Rahmen zu sehen sein wird. Hinter dem Projekt, das im Vorjahr bei der Nestroy-Verleihung mit einem Extrapreis geehrt wurde, steht das Künstlerkollektiv „Die schweigende Mehrheit sagt Ja“, das sich für Solidarität mit Flüchtlingen einsetzt.

Es ist auch ein soziales Projekt: Nach der Vorstellung findet ein Gespräch zwischen Darstellern und Publikum statt, wodurch schon einigen Flüchtlingen Ausbildungsplätze, Paten für Freizeit und Behördengänge oder praktische Spenden vermittelt werden konnten. Entstanden ist das Projekt in Traiskirchen, erzählt Tina Leisch. Einige der Asylwerber wollten gegen die Lebensbedingungen im überfüllten Lager protestieren. „Wir haben einen Chor gegründet und die Menschenrechtserklärung gesungen“, sagt Leisch. Schließlich gab Elfriede Jelinek per E-Mail die Erlaubnis, ihren Text zu verwenden. Die Flüchtlinge mussten den Text phonetisch lernen, die wichtigsten Stellen wurden ihnen auf Farsi und Arabisch übersetzt. „Sie konnten sich mit Teilen des Textes sehr identifizieren“, sagt Leisch. „Wann sind wir wieder wer?“, heißt es an einer Stelle. „Da haben einige geweint“, sagt Leisch.

Im Vordergrund sollte nicht das Elend der teilnehmenden Flüchtlinge stehen, sondern Jelineks Text. Ein paar persönliche Geschichten haben es dann doch ins Stück geschafft: Iman, eine Frau aus Mossul, erzählt etwa von ihrer Tochter, mit der sie nach Österreich geflohen ist, nachdem Bombensplitter deren Gesicht zerfurcht haben – und von ihrer zweiten Tochter, die sie zurücklassen musste, weil das Geld nicht für die Flucht der ganzen Familie reichte. Wumm: An dieser Stelle ertönt vom Klavier ein dumpfer, dissonanter Akkord. Ein Weckton, der dazu mahnt, in der gesichtslosen Flut der Ankommenden die Schicksale der Einzelnen zu erkennen. Ihre Geschichte habe sie auch bei ihrer Einvernahme in Traiskirchen erzählt, sagt Iman nach Ende der Vorstellung unter Tränen. „Aber da war kein Klavier.“ (kanu)


„Schutzbefohlene performen Jelineks Schutzbefohlene“. 14. April, 20.15 Uhr, im Audimax der Universität Wien. Eintritt: freiwillige Spende.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.04.2016)

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