Ignoranz, Wahnsinn & Methode

Ulrich Wildgruber (re.) und Bruno Ganz als Thomas Bernhards „Ignorant und der Wahnsinnige“ im Salzburger Landestheater, 1972.
Ulrich Wildgruber (re.) und Bruno Ganz als Thomas Bernhards „Ignorant und der Wahnsinnige“ im Salzburger Landestheater, 1972. Karl Ellinger / Archiv der Salzburger Festspiele
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Die Salzburger Festspiele haben über die Jahrzehnte hin auch viele Uraufführungen herausgebracht, die wenigsten sind der Welt freilich im Gedächtnis geblieben.

Mit einer Uraufführung („The Exterminating Angel“) hebt der Premierenreigen der Salzburger Festspiele heuer an. Überdies erinnern zwei Premieren an spektakuläre Uraufführungen der Festspielgeschichte: „Der Ignorant und der Wahnsinnige“ und „Die Liebe der Danae“.

Festspielintendant Sven-Eric Bechtolf beschwört als Schauspieler den legendären „Notlicht“-Skandal von 1972: Im Finale von Thomas Bernhards Stück sollten buchstäblich sämtliche Lichter ausgehen. Die Feuerpolizei ließ es bei der Generalprobe geschehen. Bei der Premiere leuchtete das Notlicht jedoch bis zum Ende der Vorstellung – woraufhin sich Regisseur Claus Peymann alle Folgevorstellungen verbat. Die Affäre lebt als Pointe in Bernhards „Theatermacher“ weiter, der 1985 ungestört zur Festspieluraufführung – und drei Reprisen – kam.

Während Bernhards Theaterstücke immer wieder auf die Spielpläne kommen, ergeht es den meisten in Salzburg aus der Taufe gehobenen Musiktheaterwerken wie den übrigen Sprechtheaternovitäten. Wer hat jenseits des Festspielbezirks beispielsweise je Fritz Hochwälders „Lazaretti oder Der Säbeltiger“ zu sehen bekommen?

Und welcher kundige Opernfreund hat jenseits von Salzburg Richard Strauss' „Liebe der Danae“ szenisch erlebt? Ihr gilt die zweite große Vergangenheitsbeschwörung dieses Sommers. „Danae“ sollte 1944 im Festspielhaus zur Aufführung kommen, doch ließ die NS-Führung, die eben den „totalen Krieg“ ausgerufen hatte, die Produktion nur bis zur Generalprobe gedeihen. Die tatsächliche Uraufführung ging erst 1952, drei Jahre nach dem Tod des Komponisten, über die Bühne.

Wer da meint, es sei eine der vornehmsten Aufgaben eines Festivals, neben der Pflege der Tradition auf höchstem Niveau auch konsequent Neues herauszubringen, resigniert angesichts der Salzburger Chronik. Schon Hugo von Hofmannsthals Versuch, mit dem „Salzburger großen Welttheater“ so etwas wie ein theatralisches Markenzeichen für sein Festival zu entwerfen, scheiterte: Der ältere „Jedermann“ ließ sich von seiner schon bei den allerersten Versuchsfestivals eingenommenen Führungsposition auf dem Domplatz nie verdrängen.


Edle Uraufführungstaten? Nicht zuletzt aus finanziellen Erwägungen spielte man in der Folge vorrangig Schiller, Shakespeare und Goethe, Mozart, Beethoven und Richard Strauss, dessen 1944 einstudierte, 1952 uraufgeführte „Danae“ zum Bindeglied wurde. Ab den späten Vierzigerjahren versuchte Gottfried von Einem nach dem Erfolg seiner für Salzburg komponierten Büchner-Oper „Dantons Tod“, 1947, Weltpremieren als fixen Bestandteil der Festspieldramaturgie zu etablieren.

Neben seiner eigenen Kafka-Oper „Der Prozess“ (1953) spielte man Novitäten von Frank Martin, Carl Orff, Boris Blacher, Rolf Liebermann, Werner Egk, Rudolf Wagner-Régeny oder Heimo Erbse. Von Titeln wie „Das Bergwerk zu Falun“, „Die Schule der Frauen“ oder „Irische Legende“ hat kaum ein Musikfreund je wieder etwas gehört.

Anfang der Sechzigerjahre – von Einem hatte sich längst zurückgezogen, weil er wegen des Versuchs, Bertolt Brecht in Salzburg eine Heimstätte zu schaffen, unter schweren Beschuss geraten war – zog man die Notbremse. In der Ära Karajan nutze man das Ius primae noctis kaum. Immerhin gelang Hans Werner Henze 1966 mit seinen von Wystan H. Auden gedichteten „Bassariden“ (nach Euripides) eine Novität, die bis ins 21. Jahrhundert hinein immer wieder neu zur Diskussion gestellt wurde und wird.

Doch die Spekulation, dem Meister der populären „Carmina burana“, Carl Orff, ein Auftragsstück zu entlocken, ging nicht auf: Das düstere „Spiel vom Ende der Zeiten“ („De temporum fine commoedia“) wurde 1973 ein Flop, trotz Karajan am Dirigentenpult!

Höhere Chancen gaben die Kommentatoren später Friedrich Cerhas Brecht-Vertonung „Baal“. Die Premiere mit Theo Adam – 1981, im selben Sommer wie Thomas Bernhards Novität „Am Ziel“ mit Marianne Hoppe! – war ein Sensationserfolg, und doch wagt sich (wohl auch aufgrund der immensen personellen Anforderungen) bis heute kaum ein Haus an das Werk.

Auch spätere Salzburger Weltpremieren aus der Feder prominenter Komponisten fanden kaum Abnehmer, Krzysztof Pendereckis „Schwarze Maske“ oder Luciano Berios „Re in ascolto“ erreichten zwar den Koproduktionshafen Wiener Staatsoper, kaum aber andere internationale Opernzentren. Danzig startete mit Pendereckis Stück jüngst einen bescheidenen Wiederbelebungsversuch . . .

Nicht viel besser erging es den meisten Auftragsstücken der jüngeren Festspielvergangenheit, gerade einmal Kaija Saariahos Troubadour-Melodram „L'amour de loin“ wird hie und da nachgespielt, und ein weiterer Auftrag an Henze zeitigte 2003 das „deutsche Märchen“ mit dem italienischen Titel „L'Upupa“, das es auf die eine oder andere Wiederholung brachte.


Der Opern-Dreisprung. Heuer gibt man Thomas Adès' drittes Musiktheaterwerk, „The Exterminating Angel“. Diesem Komponisten war es immerhin gelungen, 1995 aus dem Stand mit „Powder Her Face“ eine weltweit nachgespielte Oper zu schreiben. Allein kommende Spielzeit gibt es davon sieben Produktionen zwischen Milwaukee und Kopenhagen! Auf den jüngst auch an der Wiener Staatsoper erfolgreichen „Tempest“ folgt nun der Salzburger Engel. Bricht er den Bann?

Premieren in Salzburg

„Die Liebe der Danae“, uraufgeführt 1952, erlebt am 31. Juli ihre Neuinszenierung durch Alvis Hermanis unter der Leitung von Franz Welser Möst mit Krassimira Stoyanova in der Titelpartie.

„Der Ignorant und der Wahnsinnige“,uraufgeführt 1972, kehrt zurück: Intendant Sven-Eric Bechtolf übernimmt die Rolle des Doktors, die einst Bruno Ganz kreiert hat. Premiereder Inszenierung vonGerd Heinz: 14. August.

„The Exterminating Angel“ von Thomas Adès wird unter der Leitung des Komponisten am 28. Juli uraufgeführt.

Weitere Uraufführungen 2016: Péter Eötvös' „Halleluja“ – mit einem Libretto des kürzlich gestorbenen Péter Esterházy – erklingt erstmals am 30. Juli, Friedrich Cerhas „Blassblaue Vision“ am 11. August zur Feier des 90. Geburtstags des Komponisten. Ebenfalls 90 wurde György Kurtág, dem Mark Simpson eine Hommage widmet. Uraufführung am 14. August im Mozarteum.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.07.2016)

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