ARGOcalypse now: Kommen immer mehr Glückssucher

Nicola Kirsch
Nicola Kirsch(c) AP (STEPHAN TRIERENBERG)
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Schauspielhaus: Amüsantes Greenpeace-Kabarett.

Die einen drängen hinein, die anderen sind schon drin: Zuschauer als Zuschauer im Publikum – und Schauspieler als Zuschauer auf der Bühne. Beide müssen Testfragen beantworten: Was ist Glück für Sie? Wenn Sie morgen sterben, was würden Sie heute tun? Am Schluss gibt es keine Auflösung, sondern nur die Aufforderung: Zählen Sie nun langsam von fünf abwärts. Auf der Bühne startet ein Flugkörper, gesteuert von einem Autopiloten, der sich nicht abstellen lässt. „ARGOcalypse now“ heißt das Stück des gebürtigen Bonners Simon Solberg (30), von diesem auch inszeniert, das seit Freitag im Schauspielhaus zu sehen ist.

Der Titel ist dem berühmten Vietnam-Film mit Marlon Brando entnommen. Solberg lässt griechische Helden aufmarschieren, sie sind aber mehr ein witziger Vorwand für die fundamentale Frage, wohin sich heute Argonauten wenden würden – auf der Suche nach Glück. Solberg jagt drei fulminante Schauspielerinnen über den Abenteuerspielplatz Welt. Sie erklettern den Mount Everest, rasen mit einem Jeep durch Afrika, paddeln mit einem Floß durch tropische Gegenden. In der Wüste gibt es Krieg, doch nachdem die Cowboyfrau alles und alle mit Napalm vernichtet hat, macht sie sich eilig aus dem buchstäblichen Staub.

Ein Liebespaar findet sich, ein Kind entsteht, doch eine Businessdame hat die Brunnen aufgekauft. Die Beduinen können nur mehr illegal Wasser schöpfen, nach kurzer Verblüffung wehren sie sich auf ihre Weise und jagen die Ausbeuterin einfach davon. Immer wieder verwandeln sich die weißen Quader auf der Bühne, schließlich dienen sie als Liegestuhl auf einer Ozeaninsel, vielleicht Teneriffa. Die Touristen am Strand reagieren unwirsch auf den Flüchtling, der übers Meer gepaddelt ist und erschöpft in ihrem Schoss stirbt: „Kommen immer mehr Glückssucher, der ganze Strand ist ja schon voll!“ Wer Lust hat, kann im Internet die diversen Mythen verfolgen, die Solberg verwendet hat. Im Grunde handelt es sich um amüsantes Greenpeace-Kabarett, wobei offenbleibt, ob sich der Autor mit den kämpferischen NGO-Thesen überhaupt identifiziert oder sie wie die griechischen Sagen nur als Versatzstücke verwendet, um seine satirische Comedy stylish zu möblieren. Eineinviertel Stunden dauert der wechselhaft überzeugende Spaß, der eines sicher nicht ist: fad.

Die Schauspieler sind großartig: Bettina Kerl, Katja Jung und Nicola Kirsch springen mit einer Verve durch diesen Text, dass man kaum dazukommt, sich zu fragen, wie groß der Tiefgang dieses Stückleins ist. Die Optik mit Videos und Katastrophenszenarien ist spektakulär und ebenfalls unterhaltsam, speziell wenn man immer wieder mal nach links schaut, wo ein junger Mann die Projektionen handelt und die Szenarien erzeugt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.10.2009)

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