Daniel Aschwanden: Bach am Würstelstand

Pause. In Peking fiel die Musik aus. Daniel Aschwanden hielt still: eine Installation.
Pause. In Peking fiel die Musik aus. Daniel Aschwanden hielt still: eine Installation.(c) Christine Pichler
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Der Schweizer Daniel Aschwanden erprobte ein Jahr lang Tanz im öffentlichen Raum.

Der moderne Körper schwingt zur Barockmusik. Daniel Aschwanden tanzt 365 Varianten seines Bewegungsrepertoires, begleitet von Bachs Goldberg-Variationen, gespielt von Glenn Gould. 365 Tage hat das Projekt gedauert. Nun ist es fertig und wird als performative Lesung in Wien aufgeführt. 365 Tage kann man natürlich nicht an einem Ort sein. Aschwanden tanzte an öffentlichen Plätzen, auf Baustellen, am Würstelstand, im Park, unter Brücken oder darauf, am Wienfluss in Hütteldorf oder auf dem Markt von Peking. Bei Plus- und bei Minusgraden. Und sogar im Zug, wo sich Fremde mit ihren Yogaübungen zu ihm gesellten. Viele Zeugen zu haben, die gebannt auf eine Bühne starren oder gelangweilt in ihr Handy, sind nicht Ziel dieses Langzeitprojekts. Zum ersten Mal hat der Tänzer die mobile Bühne am Nachmittag des 18. März 2016 mit der transportablen Installation von Stefanie Rauch in einem Beserlpark von Peking markiert. Lange hat diese erste Performance nicht gedauert. Bach wurde plötzlich stumm, erzählt Aschwangen, „die im Mobiltelefon gespeicherte Musik stockte, kurzes heftiges Rauschen, noch ein paar Töne, dann Stille. Ich verharrte, atmete.“ Aschwanden erfährt: „Mein Körper kann auch als Teil einer Installation agieren.“ Inspiriert zu dem ungewöhnlichen Projekt hat den Schweizer Aschwanden, der als Tänzer, Performer, Initiator, Organisator, Kurator und Choreograf seit gut 30 Jahren in Wien lebt und arbeitet, vieles.

Inspiration Butoh. Da gab es einerseits den japanischen Butoh-Tänzer Kazuo Ono: „Noch mit 80 Jahren hat er mit seinem Körper das Publikum fasziniert. Diese Ästhetik und vor allem das Thematisieren des Körpers habe ich aufgenommen.“ Mit 27, 1985, war Aschwanden zum ersten Mal in Japan. „Die Liebe zu Asien ist geblieben.“ Aktuell ist er oft in Peking, die Kampfkunst Tai-Chi fasziniert ihn. Mitte der 1980er-Jahre wagte der amerikanische Tänzer Steve Paxton sein „Goldberg“-Experiment. Zu den 30 Variationen tanzte er völlig freie Improvisationen. Das hatte man noch nie gesehen. Acht Jahre arbeitete Paxton an dem Prozess, 1992 war er zufrieden und bat den belgischen Videokünstler Walter Verdin, seine Arbeit für immer festzuhalten. Aus dreizehn Stunden Material ist ein 54-minütiger Tanzfilm entstanden. Für Tänzer und Performer eine Ikone. Wie etwa für den slowenischen Tänzer Jurij Konjar, dessen Variationen der Variationen auch in Wien zu sehen waren.

Aschwanden hat Paxton längst verlassen, denkt über seinen eigenen Körper nach: „Ich bin jetzt 58, da fühlt man sich schnell ausgegrenzt, der Jugendwahn ist diskriminierend.“ Auch bei der Zuteilung der Subventionen werde die Jugend bevorzugt, scheint ihm. „Doch ich will nicht jammern. Ich prüfe mein Verhältnis zu meinem Körper und will wissen, was er noch alles kann. Ich will überhaupt wissen, was es noch alles gibt, jenseits des konventionellen Tanzes auf der Bühne.“ Deshalb sucht er offene Orte, speziell solche, wo Kunst und Gesellschaft einander treffen. Anfang der 1980er-Jahre hatte Aschwanden das Festival „Tanzsprache“ gegründet, bei dem im WUK zeitgenössischer Tanz, der heute eher Performance genannt wird, präsentiert wurde. In den 20 Jahren seines Bestehens erfreute sich das alle zwei Jahre stattfindende Festival immer größeren Zuspruchs. 2000 musste es eingestellt werden. Die Stadt verweigerte die finanzielle Unterstützung. „Eigentlich interessiert mich immer eher das, was kommt, weniger das, was bereits da ist“, sagt Aschwanden und erzählt vom Österreichischen Staatspreis, den er mit seiner in den 1990er-Jahren gegründeten Gruppe Bilderwerfer erhalten hat.

Seestadt Aspern. Behinderte und nicht behinderte Tänzerinnen und Tänzer haben gemeinsam getanzt. „Das war kein soziales Projekt, es ging um den Körper und die Frage, wie unterschiedliche Körper zusammenwirken.“ Damals hat noch niemand vom „Tanzkörper“ gesprochen und davon, dass jeder Körper ein solcher sein kann. Aschwanden macht keinen Lärm, er ist ein bescheidener, emsiger Arbeiter, auf der Bühne, an der Universität für angewandte Kunst, im urbanen Raum, gern im Kollektiv und das Publikum direkt adressierend. Zur Zeit engagiert er sich in der Seestadt Aspern. Die performativen Parcours und „Hausbesuche“ brauchen den Kontakt zu den Bewohnern. Seine Vorliebe für das Reisen treibt ihn in die Welt, des Abends trifft man ihn oft als Beobachter der Kollegen und Kolleginnen im brut, im Im_flieger oder im Tanzquartier. Sein Interesse gilt nicht allein dem Körper und dessen Sprache, auch den Schnittpunkt zur bildenden Kunst hat er überschritten, und die Integration konventioneller und neuer Technik ist längst perfekt. Deshalb ist „Goldberg 365“ auch im virtuellen Raum zu sehen. Jede Performance wird live mit dem Smartphone über die Socialmedia-Kanäle Twitter und Periscope gestreamt. Nach 24 Stunden geht das Licht aus. „Die Performance bleibt ephemer.“ Ein Archiv wird dennoch angelegt: Daten und Fakten jeder Variation werden penibel samt subjektiven Kommentaren schriftlich festgehalten und in einer 24-Stunden-Performance dem Publikum zur Kenntnis gebracht. Fühlt sich Aschwanden als Trendsetter? „Das könnte man so sagen. Ich öffne gern Türen.“ Ist der neue Raum dann betreten, sucht er schon die nächste Pforte.

Tipp

Daniel Aschwanden. Letzte Performance von „Goldberg 365“ am 19. 3. in Wien, genauer Ort siehe www.art-urban.org „Goldberg 365“, performative Lesung, 24. 3., 0–24 Uhr, Im_flieger, Gaudenzdorfergürtel 43–45/4. Stock/4C.

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