Aktionismus lebt ewig

Ivo Dimchev (r.) fusioniert das Kindliche mit dem Anarchischen und animiert Gäste zum Mitmachen.
Ivo Dimchev (r.) fusioniert das Kindliche mit dem Anarchischen und animiert Gäste zum Mitmachen.(c) Ivo Dimchev
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Performer Ivo Dimchev verblüfft, irritiert und erfreut im Museumsquartier als bizarres Gesamtkunstwerk.

Das ist ein Workshop, möchten Sie mitmachen, dann kommen Sie zu mir auf den Rasen!“ Der Rasen ist künstlich wie alles hier in der MQ-Reithalle, wo der bulgarische Performer Ivo Dimchev das Publikum mobilisieren will. „Avoiding DeLIFEath“ heißt die Aufführung. Gemeint ist wohl: Wie vermeidet man den Tod zu Lebzeiten? Das ist kein kleiner Anspruch. Dimchev gilt als Extremkünstler und Narziss. Er ist aber auch ein Vertreter des immersiven Theaters, will die Besucher in die Schaustellerei einführen: „Follow me!“, scheint er dem Publikum zuzurufen: Traut euch! Entäußert euch! Die meisten bleiben lieber sitzen.

Also startet der Künstler „a workshop for myself“. Er spielt Klavier, singt. Er hat eine tolle Stimme, quäkt, trällert, orgelt opernhaft. Er bemalt Leinwände mit Figuren, die jeder für sich interpretieren kann: Aus einem Herrn mit Monokel wird eine einäugige Frau mit dekolletiertem violetten Kleid, umweht von schwarzen und roten Schlieren. Das Ganze wirkt schrill und dilettantisch, ist es aber nicht. Dimchev hat an der renommierten DasArts-Akademie in Amsterdam studiert und über 30 Produktionen entwickelt, zuletzt war er Artist in Residence am Kaaitheater in Brüssel. Im MQ präsentiert er ein Buch über sein Œuvre und zeigt außer sich selbst eine Ausstellung mit Fundstücken oder Fotos: Dimchev mit verbundener Nase, Dimchev in einem schwarzen Rahmen mit eingeschlagenem Glas, Dimchev als misshandelte Ehefrau („Mein Mann ist ein Gangster“, steht unter dem Foto), Dimchev im Wald, in der Sauna – und nackt in der Pose eines Pin-up-Girls mit Gitarre. Auf einem Stoffhund reitet ein Kind, ein Lastauto schiebt den abgeholzten Wald vor sich her, ein Wildtier wurde mit weißer Farbe übergossen, ein Raubvogel mit grüner, ein Bär ist aus Schrott geformt . . . Zu den Objekten gibt es Texte, obszöne Sprüche, Appelle: „Be polite, say sorry and die!“

Das Bunte am Individuum enthüllen

Dimchev, der sich ständig verwandelt, mal kahl, mal mit Perücke, mal mit Hosen, mal mit Tütü auftritt, zehrt von vielen Vorbildern, von Popmusik, Rap, Pop Art, Ballett, Free Dance, Aktionismus. Seine Show ist multimedial, aber auch real, handwerklich.

Wenn man sich darauf einlässt, erfährt man etwas über das Wandeln der Gestalt und des Individuums. Dimchev demonstriert für das Originelle, Gewagte, den ureigenen Ausdruck. Das ist irritierend, erhellend, letztlich animierend. In die hallende Halle mit den sakral anmutenden Rundbögen passt diese Aufführung, die Grenzen der Selbstwahrnehmung sprengt. Von Dimchev gibt es viel im Internet, besser versteht man seine Kunst, wenn man ihn live erlebt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.07.2017)

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