„Dionysien“ von Tragödie bis Disco

Christoph Wieschke als Prometheus.
Christoph Wieschke als Prometheus.(c) Loeffelberger
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Salzburger Landestheater. Intendant von Maldeghem wagte in der Felsenreitschule ein Gesamtkunstwerk: Dieses vielversprechende Fest für Theater, Ballett und Oper entzückte.

Rausch, Spektakel und natürlich Schauspiel versprach die Leitung des Salzburger Landestheaters für die Premiere der „Dionysien“ diesen Mittwoch. Vier Stunden Gesamtkunstwerk mit Spiel, Gesang und Tanz samt griechischer Jause waren angesagt. Dafür hat Intendant Carl Philip von Maldeghem, der auch Regie führt, sogar den Spielort verlegt – nicht das intime neobarocke Mehrspartenhaus am Makartplatz, sondern die gewaltige Felsenreitschule dient als Bühne für vier Aufführungen, mit denen ein griechisches Fest nachgeahmt werden soll.

Drei Tragödien und ein Satyrspiel sind zu sehen – eine Bearbeitung von Aischylos als Sprechtheater, eine nach Euripides als Ballett, eine nach Sophokles als Opern-Oratorium und schließlich ein lustiger Nachschlag im Geiste des Spötters Aristophanes. Die Premiere wurde heftig akklamiert. Der kurzweilige Abend ist ein gutes Omen, besonders für Musiktheater und Ballett, bei denen es in Salzburg zuletzt Veränderungen gab. Katrin König stieg zur Opernchefin auf, Choreograf Reginaldo Oliveira leitet künftig das Ballett.

Zeus will die Menschen vernichten

Die riesige, von Stefanie Seitz ausgestattete Bühne mit ihren mehrstöckigen Bogengängen kommt gleich zu Beginn voll zur Geltung: Eine steile Metallwand stellt das Kaukasus-Gebirge dar. „Der gefesselte Prometheus“, ein Titan, wird bei Aischylos auf Befehl von Zeus dort durch Personifizierungen von Macht und Gewalt fixiert. Gott Hephaistos schmiedet seinen Verwandten, der ihm zuvor das Feuer gestohlen hat, um damit die Menschen zu beschenken, nur ungern an den Fels. Dieser Prometheus, von Christoph Wieschke beeindruckend mit latenter Aggression gespielt, weiß: Zeus will die Menschen vernichten. Er schützt sie, erduldet die Folter und droht dem Tyrannen. Eines Tages wird auch Zeus gestürzt werden. Schon stöckelt dessen Geliebte, die in eine Kuh verwandelte Io (entzückend komisch Nikola Rudle) auf die Bühne. Auch sie ist eine Leidende, wird von der Eifersucht der Göttermutter Hera verfolgt, eine böse Bremse fügt ihr stete Schmerzen zu. Doch ihr Nachwuchs, das weiß Prometheus, wird zum Fall der Götter beitragen. Von Maldeghem hat die Tragödie (in der Bearbeitung des John von Düffel) straff inszeniert, mit klugem Einsatz eines Erzählers und wirksamen Momenten des Chors der Okeaniden.

Konzis ist auch das von Oliveira choreografierte Ballett „Medea – der Fall M.“ Márcia Jaqueline, Primaballerina aus Rio de Janeiro, tanzt in dieser Übernahme aus dem Staatstheater Karlsruhe die Titelrolle souverän, energisch, schonungslos. Zuckersüße Musik kontrastiert die Brutalität – die Morde an der Rivalin und den eigenen Kindern. Es wird zum Melodram. Besonders die Schlusssequenz befremdet. Ist diese Medea, die im Original von Euripides nach vollbrachter Tat flieht, entrückt oder gar gestorben? Die Versöhnung mit dem Gefährten (souverän auch der Kammertänzer Flavio Salamanka) kann nur ein Traum in diesem Albtraum sein.

Nach dem kulinarischen Zwischenakt, der gnadenlosen Schlacht am kalten Buffet, geht es zügig weiter mit Igor Strawinskys Oper „Oedipus Rex“. Das Libretto hat Jean Cocteau dem Trauerspiel des Sophokles nachempfunden. Mit fast einer Stunde ist es der längste Teil des Abends. Es hätte gern mehr sein können. Dennis Russell Davies leitet das Mozarteumorchester Salzburg voll Leidenschaft und dennoch differenziert. Mit Verve agieren der kräftig erweiterte Chor und das Ballett des Landestheaters. Erneut erleichtert ein Sprecher (Sascha Oskar Weis) die Handlung, der lateinische Text läuft als deutsche Übersetzung in Obertiteln mit. So erfährt man punktgenau die tragische Geschichte des Oedipus, dem das Schicksal bestimmt hat, von den Eltern nach einem bösen Orakelspruch ausgesetzt zu werden, um dann doch den Vater zu ermorden und die Mutter als Frau zu nehmen. Roman Payer als Oedipus und Aude Extrémo als Jocasta wurden für ihren Gesang zurecht bejubelt.

Nach der Trauerarbeit war es am Ende Zeit für 25 Minuten Spaß. Tim Oberließen gab mit Lust und atemberaubender Artistik den attischen Landmann Trygalos, der laut Aristophanes auszog, um auf dem Olymp den „Frieden“ zu befreien. Die Begegnungen mit Hermes (Weis) und dem Krieg (Wieschke) sind Kabarett. Es herrschen gemeine Kalauer. Das Fest endet ausgelassen mit allgemeinem Tanz. So viel Disco gab es in der Felsenreitschule wohl noch nie.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.10.2017)

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