Peymann: "Ich war laut und besserwisserisch"

(c) AP (Fritz Reiss)
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Claus Peymann wäre gern Schriftsteller geworden. Der Theatermacher verteidigt im "Presse"-Interview alte Knacker gegen den Jugendwahn und erzählt auch über Probenangst.

„Die Presse“: Eine der schönen Wendungen, die man Ihrer Zeit als Burgtheaterdirektor verdankt, lautet, man sei schon total „verwienert“. Sind Sie das nach einer Dekade Berlin denn noch? Haben Sie bei Ihrem derzeitigen Aufenthalt in Wien bereits Gräber besucht, wie man das hierzulande so gerne pflegt?

Claus Peymann: Der letzte Friedhofsbesuch war beim Begräbnis von Fritz Muliar. Mein Lieblingsfeind, mein Lieblingspropagandist. Aber verwienert? Meine Geheimwaffe in Wien war letztlich mein Gelächter, meine Selbstironie. Ich war der Prototyp des Deutschen: besserwisserisch, laut, alles könnend und – ich kann über mich lachen. Das machte die Sache für uns alle kompliziert. Den Wienern fällt nämlich Selbstironie schwer, sie haben die Selbstverzweiflung. Noch heute sagen mir hier Leute auf der Straße: „Bleiben Sie hart! Halten Sie durch!“ Der Kampf geht weiter!

Wie kritisch begegnen Sie einer Inszenierung, die gut neun Jahre zurückliegt? Mit Shakespeares „Richard II.“ haben Sie in Berlin im Jahr 2000 reüssiert. Was bringt die Neuaufnahme an diesem Samstag an der Burg?

Peymann: Für mich ist eine Inszenierung immer eine Reise, eine Expedition ins Unbekannte. Direktor Hartmann hat mich eingeladen, dieses geheimnisvolle Königsdrama mit seinem Lieblingsschauspieler Michael Maertens in der Titelrolle in Wien zu zeigen. Es ist etwas Neues entstanden, sonst hätte ich mich wohl gelangweilt. Die vielen großartigen neuen Schauspieler, die große Burg waren eine Herausforderung. Es ist kein Stein auf dem anderen geblieben.

Wie vergleichen sich die beiden Häuser? Zu Wien sagt man Ihnen doch Hassliebe nach.

Peymann: Das Berliner Ensemble ist so berühmt wie die Burg. Durch Bert Brecht hat es Weltgeltung. Beide Häuser sind wunderschön. Viele Theaterfans aus Wien sind Peymann und seinen Schauspielern nach Berlin gefolgt. Das BE ist eine intime, schauspielerfreundliche, kleinere Bühne im Vergleich zur riesigen Burg. Hassliebe ist falsch. Es gab Auseinandersetzungen mit den Konservativen, vor allem zu Beginn gab's den Krieg gegen die Schönbrunner Lodenbrigade und die Burgtheater-Lemuren. Wir haben Bachler einen modernen Betrieb übergeben, während wir damals einen Betrieb aus der „Steinzeit“ übernehmen mussten. In unserer Direktion blühte das Drama der Zeitgenossen auf wie niemals zuvor in der Geschichte dieses Hauses. Es war der Mainstream. Das war Kampf, aber auch Glück und Verdienst.

Vor Ihrer Zeit gab es auch eine Reihe zeitgenössischer Aufführungen im Burgtheater, zum Beispiel Dramen von Havel und Kohout.

Peymann: Das ist eine andere Gewichtsklasse. Ich habe auf die österreichischen Autoren gesetzt. Sie fanden hier ihre Heimat. Vergleichbares ist uns in Berlin nicht geglückt. Natürlich spielen wir Botho Strauss und Peter Handke, aber Wien war eine einzige Einmaligkeit. Die Wut, der Humor und die Sexualität von Turrini, die Visionen von Handke, der verzweifelte Aufschrei Jelineks, der gigantische Totentanz von Bernhard, das ewige Experimentierkind Tabori, der exzessive Sprachkünstler Werner Schwab!


Suchen Sie in Berlin trotzdem noch verzweifelt nach einem neuen Wunderteam?

Peymann: Wir haben eine regelrechte Dramatikerschwemme, jedes Dorf hat seinen Literaturpreis. Soweit ich es kenne, viel Unterholz und wenig Wipfel. Nach dem Tod von Thomas Brasch, Heiner Müller und George Tabori ist es einsam geworden. Die junge Dramatik ist vor allem privat geprägt, es geht um die Abhängigkeit von Mami und Papi, die Probleme mit dem Pimmel... Das ist angesichts einer Welt in Flammen nur hilflos.

In „Richard II.“ wird raffiniertest das Problem von Macht und Legitimität gezeigt...

Peymann: Dieses Stück wird nicht oft gespielt. Wenn man einen großartigen Schauspieler hat, spielt man lieber gleich den „Hamlet“. „Richard II.“ ist ein überforderter Monarch, wie viele unserer Politiker auch überfordert sind mit ihrer Aufgabe. Die Schuhe sind zu groß. Das führt zu Skrupellosigkeit und Verbrechertum. Aber auch Richards Gegenspieler wird im Kampf um sein Recht zum Populisten und Verbrecher.

Bei Shakespeare wird implizit gefragt, ob man schlechte Herrscher beseitigen darf. Das war damals wahrscheinlich noch skandalöser, als dass Sie für die Zahnbehandlung des RAF-Mitglieds Gudrun Ensslin sammeln ließen. Wie reflektieren Sie Recht und Macht?

Peymann: Das ist eine verwegene Parallele. Aber ich bin kein Geistesmensch, der sich dauernd Gedanken macht. Ich reagiere intuitiv. Was das Theater meiner Generation betrifft: Wir sind aufgestanden gegen die Theaterpatriarchen, die mit Hitler ihr Auskommen gefunden hatten und in den Nachkriegsjahren eine harmlose Biedermeierlichkeit vertraten. Dagegen haben wir geputscht. Wir probten in den Sechzigerjahren die Mitbestimmung, in Berlin, Frankfurt, Zürich. Dass wir am Ende selbst – und ich bin vielleicht das krasseste Beispiel – zu Patriarchen geworden sind, ist der besondere Witz. Manche sehen in mir einen Diktator. Ich gebe zu, ich habe keine Hemmungen, Entscheidungen zu fällen: Zu entscheiden, wer welche Rolle spielt, welches Stück auf den Spielplan kommt, wer welche Gage bekommt. Dennoch sind alle Entscheidungen kollegiale. Das Team! Aber einer muss entscheiden, wie in der Familie. Das Experiment der Mitbestimmung ist leider schiefgegangen. Kunst ist eben sui generis undemokratisch.

Die Sechzigerjahre sollen rebellisch gewesen sein. Sie wurden damals Regisseur. Warum?

Peymann: Zufall! Eitelkeiten und jähe Erfolge! Ich habe im Studententheater eine Inszenierung gemacht, weil ein Regisseur erkrankte. Die hat dann alle Preise gewonnen. Man schrieb Hymnen über mich: Peymann der Shootingstar. Mein Lebenstraum war eigentlich schreiben, Stücke, Romane: Briefe an die Welt, so wie von Hemingway, Thomas Mann oder Proust. Aber dafür bin ich wahrscheinlich zu blöd. Ich habe gern Leute um mich und fürchte die Einsamkeit.

Was sind also Ihre Vorzüge?

Peymann: Meine Lust ist es, Menschen zu verführen. Jeder Schauspieler braucht seinen eigenen Weg: Der eine will an die Hand genommen werden und alles genau wissen, der andere braucht völlige Autonomie. Das ist das Reizvolle an einer Neuinszenierung wie jetzt bei „Richard II.“ – mit einer Vielzahl sehr unterschiedlicher und komplexer Charaktere zusammenzukommen, jeden Einzelnen zu verführen und alle auf eine gemeinsame Idee zu vereinigen. Regisseure sind Verführer und Vergewaltiger.


Sie reden wie ein exzessiver Mensch. Was sind für Sie die orgiastischen Momente am Theater?

Peymann:Beim Liebesakt spielt Perfektionswahn keine Rolle. Man kommt – hoffentlich – gemeinsam zum Genuss. Probenarbeit ist stark von der Angst beeinflusst, das Ziel zu verfehlen. Man hat mich unlängst nach der Aufführung von Bernhards Dramolett „Claus Peymann kauft sich eine Hose“, die umjubelt wurde wie ein Popkonzert, gefragt, ob ich jetzt glücklich wäre. Hab ich gar nicht gemerkt! Ich hatte die Hosen voll auf dieser rasenden Flucht nach vorn. Gut, ich bin Laienspieler. Dieser Kampf gegen den famosen Beil, der meine Sekretärin, meinen Dramaturgen und meinen Lieblingsdramatiker Thomas Bernhard gab, war eine Strapaze! Selbst das Verbeugen vor 500 glücklichen Gesichtern war mehr Wachkoma als Orgasmus.


So reflexiv ist auch König Richard.

Peymann: Richard II. ist ein Spieler, wie Bolingbroke. Auch heute noch folgt das Welttheater der Politik der Dramaturgie des Schauspiels: Wie täusche ich die Öffentlichkeit, wie lüge ich erfolgreich? Als ich hier Direktor war, hat mich der Obmann einer Partei im Nationalrat ernsthaft um Schauspielunterricht gebeten.

Wer ist für Sie politisch durchgeknallt?

Peymann: Da denke ich an unseren Jürgen Möllemann, der sich beim Fallschirmspringen umgebracht hat, oder an euren Jörg Haider. Das sind die bunten Papageien, aber ansonsten ist die Politikerszene eher farblos.


Sie klingen zuweilen wie ein engagierter junger Idealist. Ist das nicht anstrengend?

Peymann: Ich bin spontan. Das erweckt vielleicht den Eindruck einer etwas vergilbten Jugendlichkeit. In uns Theaterleuten stecken große Kinder. Wenn ich zum Beispiel an den Peter Stein denke, der jetzt bei uns am BE arbeitet, an seinen Größen- und Perfektionswahn, dann frage ich nur, wen Thomas Bernhard mit dem Theatermacher gemeint hat – den Oskar Werner, den Peter Stein oder doch den Claus Peymann? Bei Bernhard wimmelt es nur von Verrückten. Der 90-jährige Tabori, der immer noch behauptete, er verstehe vom Theater nichts, zählt auch dazu. Man möchte das geliebte Kind bleiben. Die Schauspielkönige wie der Hörbiger oder der Minetti waren doch im Grunde nur liebesbedürftige kleine Jungs voller Angst. Vielleicht soll ja auch mein notorisches Herumschimpfen das Licht der Aufklärung nicht erlöschen lassen. Sind meine Kollegen denn anders? Wir tragen gemalte Kindergesichter und wollen immer weiter spielen. Die Hoffnung, dass meine Arbeit die Welt verbessert, selbst in diesem gewaltigen Burgtheaterkasten! Wenn es ein Irrtum ist, ist es ein schöner.


Ihrer Generation reagiert etwas herablassend auf Jüngere. Sind das Verletzungen?

Peymann: Das beruht auf Gegenseitigkeit. Als ich nach Berlin ans BE ging, sagte Thomas Ostermeier, der neue Leiter der Schaubühne: Auf dem Grab von Peymann wollen wir noch tanzen. Das hat mich verletzt. Als wir jung waren, sind wir auch gegen die Theaterpatriarchen angetreten. Aber es gab keinen Zweifel an den alten, großen Regisseuren wie Kortner, Gründgens, Noelte oder Hans Bauer. Heute herrscht das Geschmacksdiktat des Jugendwahns! Warum soll es nicht irgendwo auch einen Platz für die alten Meister geben? – Breth, Bondy, Stein, Wilson und Peymann, bis vor Kurzem auch Zadek, Schleef und Tabori, leider sind die tot. Mehr als fünf oder sechs herausragende Regisseure hat es in keiner Generation gegeben. So ist es charmant, dass Matthias Hartmann noch einmal so einen alten Knacker wie mich herholt. Vielleicht kommt er auf den Geschmack und engagiert bald auch Peter Stein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.01.2010)

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