Eine fantastische Reise zur Erleuchtung

Die Liebe ist ein seltsames Spiel: Elvis Grezda und Ana Grigalashvili tanzen ein junges Paar.
Die Liebe ist ein seltsames Spiel: Elvis Grezda und Ana Grigalashvili tanzen ein junges Paar.(c) Odeon/Helmut Krbec
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„Der Ruf“: Das Wiener Serapions Ensemble zeigt im Odeon nach einem Vorbild aus dem alten Orient, wie man zaubert.

Verschlungene Wege führen ins Finale der Trilogie „Fidèles d'amour“, das im Odeon am Donnerstag uraufgeführt wurde. „Der Ruf“ ist der Titel dieser Produktion des Serapions Ensembles. Aber das Publikum wird nicht gerufen, sondern von schweigenden grauen Figuren mit einladenden Bewegungen hereingelockt. Sie haben identische Masken auf – lachendes Alter.

Bis an die Decke reichen variable Stoffbahnen, zwischen denen die Zuseher durchschreiten müssen, während eindringlich getrommelt wird. Das Labyrinth verändert sich stetig. Man sieht auf Vorhänge projizierte Szenen. Was für ein abenteuerlicher Erfindungsreichtum. Die Inszenierung unter der Leitung von Direktor Erwin Piplits, Mario Mattiazzo und Ivana Rauchmann brilliert von Anfang an mit eindringlichen Bildern. Im Odeon wird gezaubert, mit Licht, Musikmontagen, multimedialen Effekten und fantastischen Kostümen.

Noch ein Vorspiel: Als die Zuseher bereits im Zentrum des riesigen, halb verhüllten Raumes stehen, werden Sinnfragen gestellt, wohl auch den Gästen: „Was macht ihr da?“ Man gebe Zeichen, heißt es, doch die würden nicht verstanden. Hoch oben unterhalten sich zwei Arbeiter. „Kumm oba do, du derfst do ob'n net sein!“, sagt der eine.

Dieses von Piplits angeführte Rüpelspiel wird in den folgenden eineinhalb Stunden mehrfach wieder aufgenommen, nachdem sich die Zuseher gesetzt haben, das übrige Dutzend Darsteller längst eine Geschichte von Liebe und Verlust spielt und tanzt. Putzend, grantelnd, humorig Weisheiten von sich gebend wie Clowns bei Shakespeare, hellen die zwei das Geschehen auf. Denn dieses Tanzdrama, das „Die Erzählung vom westlichen Exil“ des iranischen Mystikers Suhrawardis aus dem 12. Jahrhundert als Folie genommen hat, kennt auch viele Abgründe. Es braucht Umwege für die Paare, um zueinander zu finden, zur wahren Herzensbildung zu kommen. Es wird zudem auch ein Abend schwerer Abschiede.

Im Westen droht der Untergang

Der eigentliche Beginn aber ist tändelnd leicht. Die Bühne ist nun frei, Tänzer schleppen Tänzerinnen an Armen und Beinen heran, Frauen schleppen Männer oder Frauen ab, es bilden sich Paare, Dreiergruppen. Die starren Köpfe erschweren Annäherungen, das Ensemble übt ritualisierte Gesten ein. Man verspürt Zwänge. Schwere Säcke lädt man sich auf, steil ist der Weg. Von hoch oben senkt sich spektakulär (von einem dünnen Drahtseil gehalten) eine schwarze Figur herab, lockt eine Frau. Droht hier der Tod oder die Erleuchtung? In der persischen Erzählung, die mit zwei Brüdern auf der Vogeljagd beginnt, steht der Westen für den Untergang, die Vögel sind Sinnbilder der Seele. Die Tanzfiguren verkomplizieren sich. Schiefe Ebenen aus Holz werden aufgestellt, verwandeln sich in ein Schiff. Eine Seereise beginnt, für diese Paare, die sich finden und verlieren, offenbar kein Ziel vor Augen haben. Ihre Schicksale berühren, sie erschrecken auch: So leicht erlöscht die Flamme! Wird sich am Ende das Licht gegen die Finsternis durchsetzen? Bei der Premiere gab es für diese intensive, wunderbare Darbietung lang anhaltende, schließlich stehende Ovationen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.02.2018)

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