Leid der Troerinnen in St. Pölten

Rasem verbindet antike Tragödie mit Flüchtlingsleid von heute: „Man muss aufstehen, wie es bei Euripides heißt. Dann gibt es noch Zukunft.“
Rasem verbindet antike Tragödie mit Flüchtlingsleid von heute: „Man muss aufstehen, wie es bei Euripides heißt. Dann gibt es noch Zukunft.“(c) © Dries Segers (Dries Segers)
  • Drucken

Am Samstag wird am Landestheater Niederösterreich „Mother Song“ uraufgeführt. Regisseur Mokhallad Rasem im Gespräch über Krieg, Verlust, Flucht.

Der irakische Regisseur Mokhallad Rasem verbindet in seinen Arbeiten häufig klassische Stoffe mit aktuellen Themen. Diesmal geht seine Vorlage zu den Ursprüngen europäischer Literatur zurück, ins antike Griechenland: Für sein neues Stück, „Mother Song“, hat er Texte der antiken Tragödienliteratur verwendet. Rasem: „Eine wichtige Rolle spielen ,Die Troerinnen‘ des Euripides, mit jenen Frauen, die nach zehn Jahren Krieg um Troja alles verloren haben. Ihre Stadt ist zerstört, ihre Männer sind tot, sie werden in die Sklaverei geführt. Doch noch immer hoffen sie.“

Ihre Geschichte möchte er erzählen: „Ihre Angst soll fühlbar werden. Eine wesentliche Erkenntnis daraus ist jedoch: Man verliert niemals alles, sondern behält zumindest seine Stimme, um vom Verlust zu erzählen. Diese sollte man sich nicht nehmen lassen. Man muss aufstehen, wie es bei Euripides heißt. Dann gibt es noch Zukunft.“

Die Trauerarbeit in den Lagern

Auch auf die „Antigone“ des Sophokles bezieht sich diese Arbeit, sowie auf arabische Lieder. „Ich will die alte Tragödie mit der neuen, der aktuellen im Nahen Osten verbinden. Was einst passiert ist, geschieht auch heute und kann auch künftig geschehen.“ Mit der Kamera war der Regisseur bei der Vorbereitung seines Projekts im Irak, in Syrien und im Libanon unterwegs, er hat zum Beispiel geflüchtete Frauen in den Camps besucht, ihre Trauerarbeit beobachtet, hat gesehen, wie sie von den im Bürgerkrieg getöteten Angehörigen Abschied nehmen. Rasem spricht mit leiser Stimme: „Diese Begegnungen haben mich schockiert. Wenn man griechische Tragödien liest, kann man das Leid aus einer gewissen Distanz nachempfinden, aber wenn man in solch ein Flüchtlingslager von heute kommt, erlebt man diesen Schmerz ganz direkt, den Verlust von Kindern, Männern, der Heimat.“

Aus diesem Material wurde mit einem Ensemble von Frauen aus diversen Ländern eine multimediale Performance geschaffen. Am Samstag gibt es im Landestheater Niederösterreich die Uraufführung dieses Gemeinschaftsprojekts mit den Vereinigten Bühnen Bozen und dem Toneelhuis Antwerpen, wo Rasem Hausregisseur ist: „Die Schauspielerinnen haben sehr unterschiedliche Herkunft, wir sind eine internationale Truppe. Eine der Darstellerinnen kommt aus Syrien. Sie wird in dem Stück auch singen. Musik ist in der Aufführung sehr wichtig. Es gibt dazu noch Originalaufnahmen der Frauen, die ich in den Flüchtlingslagern besucht habe. Manche aber haben kein Wort gesprochen, sie waren von Angst erfüllt. Ihre größte Sehnsucht: Wände statt der Zelte, um sich endlich wieder sicher zu fühlen.“ Besonders gerührt war Rasem von einer Witwe, die ihrem toten Mann täglich eine Blume ans Grab brachte.

Elisabethaner an Iraks Nationaltheater

Der Sohn eines berühmten Schauspielers des Nationaltheaters in Bagdad stand selbst bereits vor 20 Jahren im Alter von 17 auf der Bühne – in einem elisabethanischen Stück, er spielte in Christopher Marlowes „Tamburlaine the Great“. Vor mehr als zehn Jahren musste seine Familie vor dem Krieg im Irak fliehen. Zuerst ging es nach Syrien, wo bald auch der Bürgerkrieg begann. Rasem, der damals bereits als Regisseur in Europa tätig war, emigrierte nach Belgien. Er erinnert sich an die Jugend in Bagdad: „Mein Vater hatte dort Klassiker der Weltliteratur gespielt – ,Hamlet‘, ,King Lear‘, ,Ödipus‘. Durch ihn lernte ich schon als Kind das Theater kennen, ich habe ebenfalls Schauspiel studiert. Es gab unter dem Diktator Saddam Hussein Zensur, man musste vorsichtig sein. Shakespeare, Marlowe oder Sophokles konnte man aber spielen, schwieriger war es mit irakischen Dramatikern.“

Rasems Vater ist in Syrien gestorben. Das Grab hat der Sohn bei der Recherche für sein neues Stück besucht. „Ich habe ihn elf Jahre nicht gesehen. An seinem Grab habe ich dann mit ihm geredet. Das Exil hat ihm schwer zu schaffen gemacht. Er lebt in meiner Seele weiter.“ Rasems Mutter ist inzwischen in die USA emigriert, die Verwandten wurden in alle Welt verstreut. „Meine Familie ist so wie viele im Irak gemischt, mit unterschiedlichen Religionen – Schiiten und Sunniten, das war früher kein Problem. Man konnte sogar problemlos Jeside, Christ oder Jude sein. Der Krieg hat das verändert. Zwar hat auch schon Saddam Hussein die Schiiten verfolgen lassen, nach ihm haben sich die Konflikte jedoch radikal verschärft.“

Respekt für das offene Europa

Der Regisseur lobt die Asylpolitik der EU: „Europa hat seine Tore für die Schlachtopfer aus Syrien und aus anderen Ländern geöffnet. Wer aber hierhergeflüchtet ist, muss an diese neue Welt glauben, sie respektieren und versuchen, sich zu integrieren.“ Rasem empfiehlt Offenheit. Mehrfach ist er auch in den Irak zurückgekehrt, um junge Leute in Theaterworkshops zu unterrichten, sie Humanismus zu lehren. „Ich bin aber kein politischer Künstler, mein Ziel ist es, Hässlichkeit in Schönheit zu verwandeln. Gewalt sollte keinen Platz in den Herzen der Menschen haben. Ich glaube an die Poesie.“

Wer ist die Heldin des Regisseurs? „Da denke ich zuerst an meine Mutter. Die Mütter bewahren dich, sie retten dich. Damit ist aber nicht nur die leibliche Mutter gemeint, sondern auch die Erde, mit all ihrer Macht. Wenn die Frauen mehr Macht hätten, wäre die Welt eine bessere. Sie sind das Zentrum der Gemeinschaft.“ Und was bedeutet Heimat für ihn? „Ich bin dort zu Hause, wo ich bin. Derzeit fühle ich mich in Österreich daheim. Ich lasse den Gedanken der Fremde nicht zu. Sehr viel Energie geben mir die Theaterleute, mit denen ich arbeite.“

VON BAGDAD NACH ANTWERPEN

Mokhallad Rasem, 1981 in Bagdad geboren, hat dort Schauspiel und Regie studiert, arbeitete u.a. am irakischen Nationaltheater, ehe er sich 2006 in Belgien niederließ. Dort wurde er bald durch seine Projekte „Iraqi Ghosts“ und „Monde.com“ bekannt. Seit 2013 ist er in Antwerpen Hausregisseur am Toneelhuis. Für seine Inszenierung von „Romeo und Julia“ wurde Rasem 2013 mit dem Young Directors Award der Salzburger Festspiele ausgezeichnet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.03.2018)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.