Zu viel Gutartigkeit ist der Feind des Theaters

„Hascht mi!?“ Florian Teichtmeister als Schauspieler Kirsch, Alexander Absenger als SA–Mann.
„Hascht mi!?“ Florian Teichtmeister als Schauspieler Kirsch, Alexander Absenger als SA–Mann.APA/ROBERT JAEGER
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Stephanie Mohr inszenierte zupackend Felix Mitterers „In der Löwengrube“ mit Florian Teichtmeister.

Wie viel Mitgefühl soll ein Dichter mit seinen Figuren haben? Nicht zu viel, sonst werden sie unwahr. Zum 70. Geburtstag von Felix Mitterer zeigt das Theater in der Josefstadt „In der Löwengrube“, ein Stück, das mit Erwin Steinhauer in der Titelrolle 1998 im Volkstheater großen Erfolg hatte. Otto Schenk wollte es für die Josefstadt nicht haben, es schien ihm zu krass, später habe er das bereut, erzählte Direktor Herbert Föttinger bei der Feier für Mitterer nach der Premiere am Donnerstagabend.

„In der Löwengrube“ handelt vom jüdischen Schauspieler Arthur Kirsch, der in der Nazizeit verfolgt wurde. Er verwandelte sich in einen Tiroler Bauern, was die in Bodenständigkeit vernarrten Herrenmenschen begeisterte. Wer die blonden Zöpfe der Damen, die Dirndln und die Almweide mit Plastikkuh in der Aufführung sieht – in der es auch um Wilhelm Tell geht –, leistet sämtlichen schrägen Regietheaterauswüchsen Abbitte. Nein, solche Folklore möchten wir auf der Bühne nicht mehr haben.

Stoff für ein feines Solodrama

Die Geschichte des echten Leo Reuss (1891–1946) wäre ein spannendes Solo – in der Art von Martin Shermans „Rose“, das 2002 mit der verstorbenen Monica Bleibtreu im Volkstheater zu erleben war. Reuss, Sohn eines Tierarztes aus Galizien, der im Ersten Weltkrieg Soldat war, musste aus Deutschland vor den Nazis flüchten. Als arischer Bergbauer spielte er in Wien ausgerechnet den reichen Kunsthändler Dorsday in Schnitzlers „Fräulein Else“, seine Tarnung flog auf. 1937 ging Reuss nach Hollywood, drehte 45 Filme und starb in Manila, wo er für die USO auftrat, die sich um das Wohlergehen von US-Soldaten kümmert. Mitterer machte aus Reuss Kirsch, einen Hero, den weder die Betrügereien seiner Frau noch die Zeitläufte erschüttern können. Florian Teichtmeister hat die Rolle konzentriert einstudiert und sorgt mit stoischer Miene und seinem kantigen Tirolerisch – das manchmal schwer zu verstehen ist – für Verblüffung und Heiterkeit. Regisseurin Stephanie Mohr führt die verborgene Theatersatire vor, die in diesem im Grunde tragischen Werk steckt: Opportunismus der Schauspieler, ihre Enttäuschungen, Konkurrenzkämpfe, Affären und skurrilen Premierenfeiern. Auch hier gibt es reichlich Möglichkeit, sich zu amüsieren. Da Teichtmeister wie Tobias Moretti in „Rosa“ im Akademietheater seine Kollegen spielerisch quasi beiseite fegt, fallen die Schwächen in der Besetzung kaum auf.

Mittelgute Besetzung, bestens geführt

Tobias Reinthaller etwa wirkt hölzern als SA-Mann Jagschitz, Alma Hasun bleibt blass, seltsam, dass sie an ihrem Stammhaus so selten punkten kann, ganz anders als bei den Festspielen Reichenau. Pauline Knof fehlt der selbstbewusste Aplomb einer Ufa-Diva und Claudius von Stolzmanns Goebbels-Näseln klingt französisch. Wieso das?

Alexander Absenger hingegen ist großartig als Einpeitscher des Regimes, Peter Scholz bezaubert als Theaterdirektor, der es nicht fassen kann, dass auf seiner Bühne ein Bauerntölpel Klassiker spielen soll. Alexander Strobele gibt souverän-lässig den Bühnenmeister, André Pohl zieht alle Register zwischen Komik und Tragik für den ausgebooteten Mimen Polacek. Trotz der gemischten Besetzung ist die Aufführung dicht und aus einem Guss – und hat für fast drei Stunden mit einer Pause kaum Längen.

Empathie und Humanismus zeichneten Mitterers Figuren aus, lobte Föttinger nach der Premiere. Wie wahr. Aber zu viel Gutartigkeit kann auch ein Feind des Theaters sein, das nicht nur, aber zu einem wichtigen Teil von extremen Zuständen und Abgründen der Menschen handelt. In die bewegte, ja irre Lebensgeschichte des Leo Reuss hat Mitterer etwas zu glättend eingegriffen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.03.2018)

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