„Onkel Toms Hütte“ steht überall auf der Welt

Werk X. Beecher Stowes Roman gegen Sklaverei dient Harald Posch als Anlass, aktuelles Unrecht anzuklagen.

Mit dem Bestseller „Uncle Tom's Cabin“ von 1852 hat sich die Autorin Harriet Beecher Stowe nachhaltige Verdienste um die Abschaffung der Sklaverei in den USA nach dem Ende des Sezessionskriegs 1865 erworben. Sogar Präsident Lincoln machte der „kleinen Dame, die diesen großen Krieg begonnen hat“, Komplimente. Ihr Roman über das Schicksal unterdrückter Afroamerikaner, in dessen Zentrum der fromme Sklave Tom steht, der christusgleich seinen Peinigern noch im Sterben verzeiht, ist in manifester Güte voll von Sentiment und Trivialitäten.

In den Verdacht naiver Gutherzigkeit will Harald Posch, Direktor der Bühne Werk X, bei seiner Inszenierung von „Onkel Toms Hütte“ offenbar auf keinen Fall geraten. Er hat gleich mehrere Strategien der Ablenkung entwickelt, wie bei der Premiere in Meidling zu sehen war: Zum einen bleibt vom Roman nicht viel mehr übrig als eine Ahnung. Toms Ende wird auf Pappkartontafeln in drei Sätzen beschrieben. Das Schicksal der Sklavin Eliza und ihres Sohnes Harry, der so wie Tom vom gutherzigen Herrn aus Geldnot an einen sadistischen Sklavenhändler verkauft werden soll, wird nur kurz angedeutet oder erzählt. Mutter und Kind gelingt die Flucht. Das Melodram spielt ohnedies kaum eine Rolle: Die Aufführung zielt auf die Frage ab, wie aktuell Sklaverei noch heute sei.

Sexurlaub, Safari, Kinderarbeit

Lärmend und rasant schaffen zwei Schauspielerinnen und drei Schauspieler Situationen, die erweisen sollen, dass die Knechtschaft längst nicht zu Ende sei. Sexurlaub, Safari, Kinderarbeit werden seriell vorgeführt. Exotismen gibt es zuhauf, etwa eine zweistöckige Strandhütte, auf der oben Sklaventreiber, Gutsherren und Unterdrückte herumturnen oder raufen, wenn sie sich nicht gerade als Touristen mit Öl einreiben, streiten oder räsonieren. Eine aufblasbare Plastikgiraffe, ein Gummizebra, ein mannshohes Bananenkostüm sind weitere praktische Accessoires. Auch ein Comic – „Micky und Goofy in Afrika“ – zeigt Alltagsrassismus. Kapitalismus? Eurozentrismus? Böse!

Als Kontrapunkt scheint sogar ein wenig Selbstironie durch. Kurz sieht man Blackfacing, gleich wird die Farbe wieder abgewaschen. Das garstige Lied „Candy Shop“ des Rappers 50 Cent singen alle auf Deutsch allerliebst ernst. Wojo van Brouwer und Sören Kneidl machen die Szenen mit Gutsherren, Sklavenhändlern oder Jägern zum lustigen Rüpelspiel, Tom Feichtinger gibt einen ungustiösen Typen mit viel Körpereinsatz. Übertroffen wird er energetisch von Katharina Knap und Zeynep Buyraç. Oft übertreiben sie dann aber schmerzhaft, bis zur Penetranz. Umso stärker wirkt eine ruhigere Szene: Ein Kind wird dem Publikum zum Verkauf angeboten. Das Mädchen zieht stumm Gedärm aus dem bereits arg lädierten Zebra – Symbol für Millionen Rechtloser von heute.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.03.2018)

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