Mei Hong Lin: Über Luft und Liebe

Mei Hong Lin: "Ich fühle mich schon als Europäerin."
Mei Hong Lin: "Ich fühle mich schon als Europäerin."Philipp Peter
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Mei Hong Lin choreografiert in Linz "Romeo + Julia" als heutige Liebesgeschichte und fühlt dabei das Dilemma der Hauptfiguren.

Mei Hong Lin ist eine Geschichtenerzählerin. Wörter benötigt sie kaum dafür. Der Körper drückt aus, was sie zu sagen hat. Seit fünf Jahren ist sie Ballettchefin am Linzer Landestheater und hat ihr Publikum im Sturm erobert. In der kommenden Premiere erzählt sie die bekannte Geschichte von der jungen Liebe, die an der alten Fehde scheitern muss, aus ihrer persönlichen Perspektive: Für das Tanztheater "Romeo + Julia" hat Mei Hong Lin natürlich bei Shakespeare nachgeschlagen und dann den verliebten Teenagern unter die Haut gespürt. Nicht Handlungen, sondern Gefühle treiben das Leben dem Tod entgegen.

Begeistert schildert Lin schon während der Proben, was in ihren Protagonisten vorgeht. "Julia ist zum ersten Mal verliebt, und das zerreißt ihr fast das Herz. Sie weiß, dass ihre Eltern nicht einverstanden sind und sie ihre Familie, ihre Freunde verlieren wird, wenn sie mit dem Geliebten geht. Aber sie kann nicht anders. Welch ein Dilemma!" Bei der Inszenierung verlässt sich die Ballettdirektorin ganz auf die Brisanz und Aktualität des Themas: Zwei feindliche Familien, zwei feindliche Kulturen, zwei Welten prallen aufeinander. Die Handlung, in assoziativen Szenen angedeutet, bleibt in Verona, die Brücken über die Etsch dienen als Metapher. "Romeo + Julia", von mehreren Tänzern dargestellt, sind keine literarischen Figuren, ausgeschnitten aus einem berühmten Schauspiel, sondern lebendige, heutige Menschen, die lieben, leiden und sterben müssen.

Die Tänzer und Tänzerinnen sind gefordert, müssen sich selbst erforschen und das vorgegebene Choreografiekonzept mit individuellen Bewegungen erfüllen. "Ich denke auch über meine Gefühle nach", sagt Mei Hong Lin. "Ich kann nur davon erzählen, was ich fühle." Auch ihre Gefühle sind zwiespältig und differenziert. "Meine asiatische Seele kann ich sicher nicht verleugnen. Auch weil ich so aussehe. Aber nach 30 Jahren fühle ich mich schon als Europäerin." So sind auch Lins Choreografien ganz dem musikalischen Tanztheater verpflichtet, mit nur sporadisch aufblitzenden asiatischen Erinnerungen. "Wenn manche Anklänge an den asiatischen Tanz, an asiatische Philosophie oder gewisse Bilder in meinen Choreografien sehen, so mache ich das nicht absichtlich, das ist meine Denkweise. Wenn ich über Gewalt oder Zärtlichkeit, über Gefühle erzähle, dann kann ich meine asiatische Herkunft nicht ablegen."

»Wenn ich ein Tier sein darf, bin ich ein schwarzer Panther.«

Mei Hong Lin

Zwischen chinesischer Tanztradition und Ballett. Geholt wurde sie auf Vorschlag ihres Vorgängers, des verstorbenen Tänzers und Choreografen Jochen Ulrich, von Darmstadt, wo sie mit ihren Kreationen bereits internationale Aufmerksamkeit erregt hatte. Studiert hat sie, nach ihrer Ausbildung in klassischem chinesischen Tanz in der Heimat Taiwan, an der Accademia Nazionale di Danza in Rom "so richtig Ballett, mit Spitzenschuhen und Tutu" , an der Folkwang-Hochschule in Essen und auch bei Pina Bausch in Wuppertal. Die Schnittstelle zwischen chinesischem Tanz und europäischem Tanz bildet sie selbst. "Der chinesische Tanz geht sehr stark in den Boden hinein, ist erdgebunden. Der europäische Tanz hat diese Sehnsucht, immer höher, immer leichter und nach oben zu schweben. Der deutsche Ausdruckstanz hat wieder die Schwerkraft entdeckt und den Boden erobert.

Da sind wir dann wieder beim chinesischen Tanz." Mei Hong Lins vielfältige Ausbildung erlaubt es ihr, eine eigene Tanzsprache zu finden. Mit oft feministisch orientierten Themen und Sinn für Humor und Unterhaltung begeistert sie das Publikum. "Ich sehe das auch bei den Einführungen, die jetzt meine Dramaturgin, Katharina John, hält. Das Foyer ist immer voll und die Vorstellungen auch. Die Leute verstehen, was ich mitteilen will." Ihre Inspirationen holt sich die Ballettchefin nicht nur in der Literatur, sondern bei allen Künsten: "Ich schaue gern Filme an, gehe ins Museum, kann mich für Bilder begeistern. Meine Interessen sind vielfältig, sogar Kochen interessiert mich sehr." Ein Ondit ordnet Tänzer und Choreografen den vier Elementen zu. "Pina Pausch ist Erde, Merce Cunningham Luft, Maurice B jart Feuer", heißt es. "Ich fühle mich der Luft verbunden, aber wenn ich ein Tier sein darf, bin ich ein schwarzer Panther." Luftig, leicht, akrobatisch sind die Choreografien, die zierliche Frau selbst im Herzen ein wildes Tier am Sprung.

Viele Romeos und Julias

Bei den Proben allerdings führt sie mit zarter Hand und sprechenden Gesten. Es herrscht Chaos, geordnet zwar, aber wild und ungebremst. Auf dem Marktplatz kämpfen die Rabauken der Capulets gegen die der Monta gues; alle Julias feiern mit allen Romeos eine öffentliche Hochzeit. "Jeder von uns ist Romeo, jede Julia", sagt die Choreografin, und so ist auch jeder Tänzer und jede Tänzerin auf der Bühne Romeo oder Julia. Nicht alle fühlen gleich, doch damit das Publikum nicht durch die von den Julias und Romeos synchron ausgedrückten unterschiedlichen Emotionen gänzlich verwirrt wird, gibt es auch zwei fixe metaphorische Figuren: "Die junge Liebe" wird durchgehend von einem Tanzpaar dargestellt; "den Streit, die alte Fehde" symbolisieren zwei Tänzer.

Nicht nur in Linz sind Mei Hong Lins getanzte, oft turbulente Erzählungen beliebt, auch in Korea wurde die Linzer Compagnie mit Begeisterung aufgenommen. "Tanz ist eine allgemein verständliche Sprache. Ich erzähle ja nicht den Ablauf einer Handlung und mag nicht im Elfenbeinturm sitzen und große Kunst machen. Ich will ganz nah am Publikum sein, erzählen, was mich berührt und meine Gedanken mit dem Publikum teilen. Das Theatralische muss auch immer dabei sein." Im Vorjahr erhielt sie für ihre Version von "Schwanensee" den Österreichischen Musiktheaterpreis.

Mei Hong Lin

"Romeo + Julia", Premiere am 23.5., Musiktheater Linz. landestheater-linz.at

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