Massenmord en miniature

Symbolbild.
Symbolbild. (c) Clemens Fabry
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Hotel Modern zeigt bei den Wiener Festwochen im MQ „Kamp“, ein Puppenspiel über Auschwitz: Mutig, aber heikel.

„Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben ist barbarisch“, befand der Philosoph Theodor W. Adorno. „There is no business like Shoa business“, lautet ein galliger Spruch. Bereits 1993 beklagte der „Spiegel“, dass jüdische Organisationen unter Geldmangel für karitative Projekte leiden, während der Holocaust finanziell aufwendig nach allen Richtungen aufgearbeitet wird: Memorials, Museen, Bücher, Filme.

Inzwischen ist viel Zeit vergangen, die Frage ist, wie für eine jüngere Generation die Erinnerung an das Kippen ins absolute Grauen lebendig gehalten werden kann. Die Wiener Festwochen luden „Kamp“ vom Hotel Modern ein, die Truppe tourt seit 2005 mit einem Puppenspiel über das Vernichtungslager Auschwitz. Heuer, zum 80-Jahre-Gedenken an den „Anschluss“ Österreichs an Nazi-Deutschland, wird die Performance in Wien vorgestellt. Im MQ ist ein Modell des KZ, das zum Symbol für absolute Gewalt und Niedertracht im 20. Jahrhundert wurde, aufgebaut. Man sieht die Güterzüge heranfahren, die Rampe, die Selektionen. Erschöpft und verstört, aber immerhin noch als Menschen erkennbar, kommen die Leute an, rasch verwandeln sie sich in Gespenster.


Flotte Musik, keine Worte. Ein Wachsoldat prügelt mit einer Schaufel auf eines der Gerippe ein, es dauert lang, bis es sich nicht mehr regt. „Muselmann“ nannte man die Gefangenen, die sich infolge von Unterernährung und Misshandlung aufgegeben hatten. Auf einem Leichenhaufen krabbelt ein letzter Überlebender herum. Ein Häftling schleicht sich nachts an den Zaun, es knallt, Starkstrom, er hängt leblos im Stacheldraht. Ein Moment unfreiwilliger Komik entsteht, wenn die Puppenspieler für die Appelle Platten mit Figürchen über die Bühne tragen. Die Videos machen sie groß. Die Wachen saufen und singen. Das Lagerorchester spielt. Das Horst-Wessel-Lied und sogar der Radetzkymarsch, gellen aus den Lautsprechern. Die Kleider werden weggebracht. Ein Mann mit Gasmaske schüttet das Gift, Zyklon B, Gas in Pellets, in den Duschraum.

Das Wetter und die Jahreszeiten wechseln, einmal pfeift der Wind, dann wieder zirpen die Grillen. Die Zeit dehnt sich endlos wie die Qual. Einer verteilt dünne Suppe und kratzt wie wahnsinnig den Rest aus dem Topf. Die Toten werden in die Öfen geschoben, die Asche wird in Schubkarren geladen, der letzte Blick fällt auf die schäbigen Schlafstätten . . .


Alles lässt sich filmen. Nach dem Ende der Aufführung ohne Worte sammeln sich die Zuschauer vor der Bühne, filmen und fotografieren die Stätte des Massenmords: ein Massenmord en miniature. Natürlich dient Puppentheater keineswegs der Putzigkeit.

Aber: Das ganze Unternehmen hat in all seiner Drastik etwas Verkleinerndes, so groß der Ernst der Ausführenden ist. „Die letzten Zeugen“, eine Performance-Doku im Burgtheater von Matthias Hartmann und Doron Rabinovici, bildarm, aber eindringlich, kam der Tragödie näher, aber auch „Schindlers Liste“ (1993) von Steven Spielberg, der einen völlig anderen Zugang wählte: ein Übermaß an Illustration, das auch Kritik weckte, „Bilder töten die Imagination“, schrieb Claude Lanzmann, der die epochale Doku „Shoah“ drehte.

Hotel Modern hat auch den Ersten Weltkrieg und Wagners „Ring“ in „Digest“-Version herausgebracht. Selbst das Unfassbare lässt sich heute in Häppchen pressen. „Kamp“ ist ein gut gemeinter, auch ganz gut gemachter Versuch, zielend auf eine breitere Öffentlichkeit, 60Minuten kurz, dementsprechend fragmentarisch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.05.2018)

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