Wiener Festwochen: Die tödliche Tiefe des Bodensees

Pophymnen aus den Sixties, von drei Organisten und einem Sänger präsentiert (von links): Jürg Kienberger, Raphael Clamer, Stefan Merki und Ueli Jäggi.
Pophymnen aus den Sixties, von drei Organisten und einem Sänger präsentiert (von links): Jürg Kienberger, Raphael Clamer, Stefan Merki und Ueli Jäggi. (c) FW/Thomas Aurin
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Christoph Marthalers „Tiefer Schweb“ ist raffiniertes Theater voller Altersmilde und Musikalität. Bei allen künstlichen Längen fasziniert dieses Gesamtkunstwerk.

Fast schon gegen Ende des zweistündigen Gastspiels von Christoph Marthalers Drama „Tiefer Schweb“ bei den Wiener Festwochen geht ein Sessel kaputt. Zwei Beine fallen ab. Das löst in der überdimensionierten, rundum und an der Decke mit Holz vertäfelten, alpenländisch wirkenden Gaststube ungewöhnliche Aktivitäten unter den acht Mitgliedern einer Kommission aus. Die hatten zuvor in reinem Amtsdeutsch diskutiert, Volkslieder und Schnulzen gesungen, uriniert und gejodelt, sie waren vereinzelt auch etwas lauter und apodiktisch geworden oder hatten sich in Zeitlupe wie sterbende Fische benommen, die nach Luft schnappen. Nun aber beginnt handfestes Spektakel: Der vom Sesselzerfall Betroffene holt eine Maschine herein, mit der er Holzbretter zerschneidet. Die nagelt er an die Türen und Wände. Bald helfen ihm seine Kollegen, Stacheldraht wird gespannt.

Im Raum verbarrikadiert sich eine seltsame Gruppe von Bürokraten. Wovor aber, fragte man sich bei der Premiere im Theater an der Wien am Montag, fürchten sich diese zwei Frauen und sechs Männer? Suchen sie Schutz vor der Zukunft? Ja. Denn Marthaler, der schon in lichte Bergeshöhen, böse Stätten der Vernichtung oder auch nur einen verrätselten Wiener Wald geführt hat, lässt sein Ensemble diesmal ganz unten spielen. „Tiefer Schweb“ bezeichnet die tiefste Stelle des Bodensees. Die Heimatstube, in der dieser Ausschuss irgendwo im Dreiländereck zwischen Schweiz, Bayern und Österreich amtshandelt, befindet sich einen Viertelkilometer unter der Wasseroberfläche, an der tiefsten Stelle des Sees. Darauf deutet zu Beginn nur ein Eisenrad in der rustikalen Holzwand, über das der Druckausgleich geregelt wird. Manchmal gurgelt es, dann drohen die Menschen zu platzen. Einmal beginnen sie im Finale tatsächlich aus Mund und Nase zu bluten, als das Regeln zu lange dauert.

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