Warum ein Belgier die Festwochen erobert

„The Time We Share“ war 2015 das Motto seines Festivals in Brüssel.
„The Time We Share“ war 2015 das Motto seines Festivals in Brüssel.(c) Bea Borgers
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Mit Christophe Slagmuylder war schnell ein Festwochen-Intendant gefunden: Er mag es, dass Festivals "abseits ausgetretener Pfade" gehen, hält nichts von elitärer Kunst und kommt aus einem Land, das die Szene fördert.

1 [slaxmøldr]

Oder: Wie spricht man Slagmuylder aus?

Als am Montag der Name des neuen Festwochen-Intendanten bekannt wurde, rätselten manche Kollegen: „Wie spricht man den eigentlich aus?“ Im APA-Archiv war der 51-jährige Belgier bis dato noch gar nie erwähnt worden. Auch auf Wikipedia hat sich bisher niemand (auch er selbst nicht) die Mühe gemacht, einen Eintrag zu gestalten. Dabei ist Slagmuylder – in Lautschrift würde man das etwa so schreiben: [slaxmøldr], wobei das [x] wie ch gesprochen wird – in der Kunst- und Kulturszene kein Unbekannter. Aber der studierte Kunsthistoriker hat sich mehr darauf konzentriert, sich in der Szene zu vernetzen und den internationalen Theater-, Performance- und Tanzbetrieb im Auge zu behalten. Was er unter Kunst versteht, erklärte er 2015 in einem seiner raren Interviews für den frankophonen belgischen Radiosender RTBF: „Ich finde, dass das Schönste an der Kunst ihre Nutzlosigkeit ist. Man kann den Künsten keine klare Funktion zuweisen.“

2 Immer wieder Belgien

Oder: Was macht man dort besser?

Auffällig ist es schon, wie erfolgreich Belgien darin ist, Künstlern, Kompanien oder auch Kunstmanagern (von Gerard Mortier bis Frie Leysen) den Weg zu internationalem Erfolg zu ermöglichen. Das liegt, da sind sich die Beobachter einig, vor allem am Fördersystem: In Brüssel hat man seit den frühen 1980er-Jahren freie Tanz- und Theatergruppen unterstützt – und das mit Beträgen, die mehr ermöglichen als ein Leben am Rande des Existenzminimums. Es gibt dort aber nicht nur mehr Geld, die Förderungen fließen beständiger, Künstlern stehen attraktivere Spielstätten und Ausbildungsmöglichkeiten (etwa das renommierte P.A.R.T.S.) zur Verfügung. Das ist der Nährboden, auf dem Kompanien mit bis zu 30 Leuten entstehen und Stars wie Anne Teresa de Keersmaeker, Wim Vandekeybus oder Alain Platel gedeihen konnten. Mittlerweile gelten sie als wichtiger Kulturexport ihres Landes. Mindestens ebenso wichtig ist eine verlässliche Förderung von Institutionen und Festivals, die Künstler und Kompanien beschäftigen können. Slagmuylder hält viel von einer „Treuebeziehung“, die beim Kunstenfestivaldesarts gelebt wird – einem Festival, das nach seiner Definition „nicht Neuheit um jeden Preis sucht, sondern langfristig mit Künstlern arbeitet“. Gegenüber den Künstlern empfinde er „großen Respekt“: „Das Leben als Künstler zu wählen, schafft eine schwierige Position. Man muss sie durchhalten.“

3 Flamen und Wallonen

Oder: Ist Mehrsprachigkeit gut für den Erfolg?

Vor allem in der Tanz- und Performance-Szene ist Belgien eine Nummer für sich. Könnte das an der sprachlichen Vielfalt liegen? Die Internationalisierung wird dadurch gefördert, Mehrsprachigkeit ist in Belgien weit verbreitet. Dass sich deshalb Künste besonders gut entwickeln, in denen Sprache eine untergeordnete Rolle spielt, lässt sich anhand des belgischen Modells aber nicht nachweisen. Schließlich gilt auch das flämische Theater, allen voran Jan Fabre, als richtungweisend. Und: Die Teilung in Flamen und Wallonen teilt auch das viel gepriesene Förderwesen ist zwei Welten. So haben etwa flämische Künstler bessere Chancen, auf den Spielplan des Brüsseler Kaaitheaters zu kommen, als wallonische.

4 Ein Liebhaber von Festivals
Oder: Wofür steht Slagmuylder eigentlich?

Slagmuylder hat mit nur etwa einem Dutzend Leuten das Kunstenfestivaldesarts, das er seit 2007 leitet, zu einem der international wichtigsten Festivals für zeitgenössische Kunst (Theater, Tanz, Performance und Visual Arts) entwickelt. Er beobachtet die Szene intensiv, wird oft auf vielen Festivals gesehen – und hat sich von seiner ursprünglichen künstlerischen Heimat aus, der Tanz- und Performance-Szene, den unterschiedlichsten Genres der darstellenden Kunst geöffnet. Festivals sind für ihn „besondere Orte“: „Sie können es sich erlauben, sich abseits der ausgetretenen Pfade zu bewegen.“

5 Ein Freund von Tanz und Performance
Aber: Was wird dann aus ImPulsTanz?

Im RTBF-Interview ließ er persönliche Präferenzen erkennen: „Ich bin sehr den Körpern, den Bewegungen verbunden, noch mehr als dem Wort“, sagte er. „Ich habe ein Gespür für die Körperlichkeit und das, was sie dem Zuschauer vermittelt. Ich träume sogar von einem Festival ohne Worte. (lacht)“ Muss man sich also um das von notorischen Geldsorgen geplagte ImPulsTanz-Festival Sorgen machen, das stets nach den Festwochen läuft? Wohl kaum. Das Kunstenfestivaldesarts jedenfalls legt Wert auf ein sehr ausgewogenes Programm.

6 Festwochen-Umbau
Oder: Was kommt 2019?

Slagmuylder ist nur für 2019 bestellt – die Festwochen-Leitung ab 2020 wird ausgeschrieben. Man wird sehen, wie er mit den von seinem Vorgänger Tomas Zierhofer-Kin bereits eingegangenen Verträgen umgehen wird. Erste Details werden heute auf einer Pressekonferenz präsentiert. Eines ist aber sicher: Slagmuylder hält nichts von elitärer Kunst. Er will „neugierig“ machen, die Zuschauer „willkommen“ heißen. „Ich denke oft, dass lebendige Kunst nicht darin besteht, mit einem Text auf die Bühne zu kommen, sondern dass sie auch ein Gespür für den Raum und die Zeiten ist. Dass man den Eindruck hat, dass hier etwas passiert, was nirgendwo sonst passiert.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.06.2018)

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