Kulturpolitik: Keine Tabula rasa bei Festwochen

Den neuen Festwochen-Chef Slagmuylder (rechts) kennt Stadträtin Kaup-Hasler schon lange.
Den neuen Festwochen-Chef Slagmuylder (rechts) kennt Stadträtin Kaup-Hasler schon lange.(c) APA/HANS KLAUS TECHT
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Intendant Christophe Slagmuylder will „respektvoll“ mit Zierhofer-Kins Erbe umgehen. Das Publikum will er mit einladender Avantgarde zurückgewinnen.

Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende“: Mit diesen Worten schloss Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler das Festwochen-Kapitel um Tomas Zierhofer-Kin ab. Bei einer Pressekonferenz erzählte sie auf Nachfrage noch einmal von seiner Entscheidung, die Leitung des Festivals nach zwei Jahren abzugeben, und den Gesprächen, die seinem Entschluss vorausgegangen seien: „Er war mit den Nerven weit unten. Er war gekränkt, dass auch sehr gute Künstler kontaminiert waren von der Atmosphäre. Ihm war der Schutz der Künstler wichtig, und er wusste nicht, wie er aus dieser Schleife rauskommen sollte.“ Über die Konditionen der Vertragsauflösung – der „Kurier“ kolportierte etwa eine Ablösesumme von einem Jahresgehalt – sei Stillschweigen vereinbart worden.

Doch Vergangenheitsbewältigung stand ohnehin nicht auf der Tagesordnung des Pressetermins, vielmehr sollte Zierhofer-Kins – zumindest interimistischer – Nachfolger präsentiert werden. Dass es der Belgier Christophe Slagmuylder werden würde, war schon bekannt. Ihn habe Kaup-Hasler als Ersten angerufen, nachdem klar war, dass die Festwochen-Leitung schnellstens neu besetzt werden muss. Nach kurzer Bedenkzeit sagte er zu: „Ich spüre intuitiv, dass das die richtige Entscheidung für mich ist.“ Verfügbar war er eigentlich nicht: Das Brüssler Kunstenfestivaldesarts, das er seit 2007 leitete, hätte auch nächstes Jahr noch unter seiner Ägide stattfinden sollen. Erst ab 2020 war seine Nachfolge ausgeschrieben, die Bewerbungsfrist dafür lief ausgerechnet am Montag aus – als publik wurde, dass Slagmuylder die Festwochen übernimmt. Wer immer ihm in Brüssel nachfolgt, muss nun schon früher Zeit haben. Auch für 2020 war er bereits gebucht: Ob er das „Theater der Welt“-Festival in Düsseldorf weiterhin leiten will – oder ob er sich auf die für Juli angesetzte Ausschreibung der langfristigen Festwochen-Intendanz bewerben will – ließ er offen: „Ich ziehe es vor, mich hier nicht dazu zu äußern.“

„Belgisch bedeutet nichts“

Stattdessen zeigte er Begeisterung über die Festwochen, die er „schon viele Male“ besucht habe („ein wunderbares Projekt“) und die Stadt Wien, die ihn vor allem wegen ihrer (ost-)europäischen Einflüsse reize: „Ich bin ein sehr europäischer Mensch. Belgisch zu sein bedeutet nichts. Es ist ein winziges Land, wir können uns zwischen Französisch und Flämisch nicht entscheiden, in Brüssel ist Arabisch die zweithäufigste Sprache.“

Seine Vision für die Festwochen umriss er nur grob: Sie sollen herausfordernd, risikoreich und zeitgenössisch sein – „in dieser Zeit, an diesem Ort“. Er schätze Projekte, „die sich nicht schämen, Avantgarde zu sein“, sagte er – wobei er mit der Unterscheidung zwischen Avantgarde und der „alten Generation“ ohnehin nicht viel anfangen könne: „Ich glaube nicht an diese Trennung. Es geht darum, wie Kunstwerke mit der heutigen Zeit verknüpft werden können.“ Als „kein Mann der Trennung“ bezeichnete er sich auch, was künstlerische Sparten angeht. Kooperationen wie die mit Konzerthaus und Musikverein, die Zierhofer-Kin aufgekündigt hatte, schließt er nicht aus: „Es kommt auf das künstlerische Angebot an.“

Der Unmut über die letzten beiden Festwochenausgaben ist Slagmuylder nicht entgangen, er sehe sich aber nicht als „Notlösung“, wolle auch nicht unter Panik arbeiten: „Ich will das Vertrauen in und die Neugier auf dieses Festival wieder aufbauen.“ Dazu brauche es Produktionen, die „offen und einladend“ sind. Einige davon könnten auch mit ihm mitsiedeln: Für die nächste Ausgabe des Kunstenfestivals sei er schon Verbindlichkeiten eingegangen, die er nun in Wien nutzen will. Sprich: Künstler, die 2019 in Brüssel hätten auftreten sollen, könnten stattdessen nach Wien kommen. Welche das sind, verriet er nicht. Mit den bereits geschmiedeten Plänen (ein 25-Stunden-Film von US-Provokateur Paul McCarthy war etwa schon bestellt) und dem Kuratorenteam von Zierhofer-Kin will er „respektvoll“ umgehen: „Ich werde nicht mit einer Tabula rasa starten.“

Volkstheater: Jetzt wird analysiert

Sein Auftrag von der Wiener Kulturpolitik bleibt der, den schon Zierhofer-Kin bekam: das Festival für neues Publikum öffnen. Bei Kaup-Hasler weckte seine Tätigkeit in Brüssel dafür große Erwartungen: Das Kunstenfestival „mäandert durch die Stadt, von Molenbeek bis ins Villenviertel. Diese Mischung macht es aus“, so die Stadträtin.
Eine weitere Kultur-Baustelle, das Volkstheater, dessen Direktorin, Anna Badora, 2020 abgeht, will sie nun analysieren. „In Graz ist es Badora gelungen, die Stadt künstlerisch zu umarmen. In Wien hat sie es schwer, ein Publikum zu motivieren.“ Wie es dem Volkstheater wirklich wirtschaftlich geht und welchen Platz es in der Wiener Theaterlandschaft eigentlich einnehmen soll, will Kaup-Hasler nun erheben.

Festwochen-Chefs seit 1951

Rückblick. Wien war noch besetzt, als 1951 die Festwochen neu gegründet wurden – unter der Leitung des Kulturamts unter Adolf Ario. Es folgten die späteren Staatsopernchefs Rudolf Gamsjäger (1958) und Egon Hilbert (1960–1964), Arena-Gründer Ulrich Baumgartner (1964–1977), Ex-ORF-Fernsehdirektor Gerhard Freund (1978–1979). Nach einem wechselnden Direktorium übernahm 1984 Ursula Pasterk, die zugleich Kulturstadträtin war, dann Klaus Bachler (1992–1996), der spätere FW-Geschäftsführer Wolfgang Wais (1997) und dann ein Direktorium aus Klaus-Peter Kehr, Hortensia Völckers und Luc Bondy, der ab 2002 alleiniger Intendant war – gefolgt von Markus Hinterhäuser (2014–2016) und Tomas Zierhofer-Kin (2017–2018).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2018)

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