Jetzt liegt New Orleans an der Rax

Petra Morzé macht aus der bedauernswerten Blanche in „Endstation Sehnsucht“ von Tennessee Williams in Reichenau eine unbeugsame Lady: Grandios.
Petra Morzé macht aus der bedauernswerten Blanche in „Endstation Sehnsucht“ von Tennessee Williams in Reichenau eine unbeugsame Lady: Grandios.(c) Dimo Dimov
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Festspiele Reichenau. „Endstation Sehnsucht“ von Tennessee Williams gewinnt in Beverly Blankenships genialer Regie neue Dimensionen. Petra Morzé triumphiert als Blanche.

Eine schäbige Ledercouch steht auf der Arenabühne des Neuen Raums in Reichenau. Auf dieser spielt sich allerhand ab, es wird liebevoll und brutal gerauft, geschmust, geliebt, resignativ geruht, geschlafen – und schließlich ereignet sich eine Vergewaltigung. „Endstation Sehnsucht“ von Tennessee Williams aus dem Jahr 1947 galt Dienstagabend die zweite Premiere der heurigen Festspiele Reichenau.

1951 hat Elia Kazan den berühmten Film mit Vivien Leigh und Marlon Brando gedreht, ein Klassiker. Beverly Blankenship hat in Reichenau andere Ideen: Sie entkleidet das Stück vom vibrierenden Wahnsinn und zeigt Querköpfe, die ohne Rücksicht auf sich selbst und andere aufeinanderprallen. Die Gutsbesitzerstöchter Blanche und Stella flüchteten auf unterschiedliche Weise aus ihrem noblen Milieu. Blanche verlor beim Versuch, sich erotisch zu emanzipieren, alles, Stella versuchte Ähnliches und fand einen animalischen Lover, den Polen Stanley Kowalski. „Ich bin kein Polacke“, brüllt dieser, „ich bin Pole und in Amerika geboren, amerikanischer Staatsbürger!“ Was Goldes wert war – und ist, früher, als sich die USA zur Führungsnation der Welt aufschwangen, heute, wenn Kinder und Eltern an der US-Südgrenze gnadenlos auseinandergerissen werden und illegale Einwanderer allenthalben das Schlimmste zu befürchten haben.

Daniel Jesch spielt die Brando-Rolle, die noch kaum einem gelang, er erschafft sie neu, denn er ist eben nicht nur ein Underdog, sondern auch ein tüchtiger Arbeiter mit Aufstiegschancen, wie seine Frau, Stella, zu berichten weiß. Aus dem einstigen Proleten wird gerade ein Familientyrann, aus dem Säufer ein Muskelprotz, der seine Kraft fürs Erste an der lästigen Schwägerin ausprobiert. Blanche ist zur Schwester geflüchtet, weil sie keinen Job und kein Geld hat – und Sehnsucht nach den alten Tagen im geschützten Upperclass-Milieu, in dem hübschen und herzigen Töchtern manche Kapriole verziehen wurde, Hauptsache, sie heiraten einmal gut. Das ist Blanche misslungen, sie hangelte sich von Liebschaft zu Liebschaft, jetzt ist ihre Endstation Sehnsucht erreicht.

Petra Morzé, blond und wild, lässt die ätherische, nervöse Vivien Leigh glatt vergessen. Hier spielt sich eine wahrhaft große Dame auf, die gewohnt ist zu herrschen – zur psychischen Labilität nimmt sie höchstens Zuflucht, wenn es ihr gerade in den Kram passt. Herr Kowalski wittert Aufruhr in seiner bescheidenen Bleibe, wo er bislang der Platzhirsch war, seine Stella unterwarf, sie beglückte – und zähmte.

Stanley, Migrant, sozialer Aufsteiger

Nicht nur die Hauptpartien sind diesmal exzellent besetzt, auch einige Nebenrollen. Der wunderbare Dirk Nocker gibt die wenig dankbare Rolle des Muttersöhnchens Mitch, dieser gutmütige Romantiker ist geblendet von Blanches Allüren, Stanley klärt ihn auf über die Vergangenheit dieser Madame dangereuse. Nocker verströmt ein eigenartiges, zartes Charisma, selbst wenn er bloß herumsteht, weckt er schon Mitleid. Mit diesem hochanständigen grau melierten Kavalier aus der kleinen Welt würde wohl manche Dame gern eine Mondscheinpartie unternehmen. Aber der fürchterliche, ständig Whisky kippende Vamp Blanche zerstört sogar diese letzte Chance auf eine halbwegs gesicherte und freundliche Existenz. Man hört förmlich das Beil knallen, das diesen Rettungsanker kappt. Blanche schmeißt auch noch diesen heiratswilligen Verehrer hinaus – und begibt sich auf ihre Traumreise zum Ölmilliardär, der sie vielleicht vor einigen Jahrzehnten einmal angebetet hat.

Johanna Arrouas bezaubert als Stella

Johanna Arrouas berührt als Stella, eingeklemmt zwischen zwei wüsten Monstern, dem Mann, der ihr Höhepunkte verschiedenster Art verschaffte, und der Schwester, die sich schon in Kindertagen von diesem bezaubernden Aschenputtel bedienen ließ. Ach, Stella – ein Lichtblick der Warmherzigkeit an diesem rauen Abend. Tobias Rein-thaller gefällt als schüchterner Zeitungskassier, den Blanche gern vernaschen würde. Rainer Friedrichsen ist fantastisch bei seinem Kurzauftritt als listiger und galanter Psychiater. Und die junge, französische Mezzosopranistin Katia Ledoux, Solistin an der Grazer Oper, hat den Blues.

Betörende Musik aus dem Süden der USA, wo die Küsse, die Bisse und die Risse nah beinander liegen, durchwebt diese Aufführung, die überzeugender als „Die Katze auf dem heißen Blechdach“ im Reichenauer Theater 2016 ist. Auch damals hat Blankenship inszeniert, übrigens keineswegs schlecht. Aber erst jetzt haben die Festspiele, sonst eher bei Schnitzler und Co. daheim, tatsächlich nach New Orleans gefunden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.07.2018)

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