ImPulsTanz

Zu viel Mensch: Getanzter Bach im Burgtheater

Auch wenn die sechs Cellosuiten am Samstag nicht in einer Kathedrale, sondern im Burgtheater erklangen – diese Musik schafft sich ohnehin ihre eigene Architektur, lässt man ihr nur den leeren Raum.
Auch wenn die sechs Cellosuiten am Samstag nicht in einer Kathedrale, sondern im Burgtheater erklangen – diese Musik schafft sich ohnehin ihre eigene Architektur, lässt man ihr nur den leeren Raum.(c) Anna van Aerschot
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Keersmaeker ließ in der Burg zu Bachs Cellosuiten tanzen: ein großartiges Scheitern.

Musik spannt Räume auf, mit Bauten aus Tönen darin – schon mittelalterliche Baumeister sahen die Nähe zwischen Musik und Architektur. Sie gestalteten gotische Kathedralen nach Intervallproportionen, die für sie die göttliche Ordnung widerspiegelten. Die Vollendung der gotischen Baukunst wiederum war für Albert Schweitzer Musik – Bachs Musik.

Auch wenn die sechs Cellosuiten am Samstag nicht in einer Kathedrale, sondern im Burgtheater erklangen – diese Musik schafft sich ohnehin ihre eigene Architektur, lässt man ihr nur den leeren Raum. Den hatte sie hier, fast. Auf der weiten Bühne nur ein Cellist – der Franzose Jean-Guihen Queyras, der in jeder Suite seine Position und Blickrichtung wechselte. Dazu pro Suite ein bis zwei Tanzende, zuletzt tanzten alle sechs.

Wer so vollkommene Musik mit Tanz neu verbindet, riskiert immer viel – das bestätigte sich auch hier, in der ImPulsTanz-Aufführung von „Mitten wir im Leben sind“ von Anne Teresa De Keersmaeker. Auch wenn die belgische Choreografin selbst wegen einer Verletzung durch eine Einspringerin ersetzt wurde, was die Produktion spürbar schwächte: Wie hier die übrigen Körper Akkorde und Phrasen aufgriffen, variierten, ausdeuteten, ließ keinen Zweifel daran, dass der Bewegung auf der Bühne eine in die Tiefe von Bachs Musik vorausgegangen ist. Da gab es Stellen, in denen die Tänzer allein mit blitzschnellen Bewegungen von Kopf und Schulter stupend musikalische Phrasen spiegelten; andere wieder, die elementare Zustände zu evozieren schienen – wenn ein Tänzer etwa, zu Boden gezogen durch die Klänge einer Sarabande, dahinrobbte und sich mühte, wieder aufzustehen. Eine Choreografie als Versuch, wie bei Bach Vertikale und Horizontale zu versöhnen, die Struktur dieses musikalischen Raums sichtbar – und zugleich das zutiefst Menschliche darin spürbar zu machen.

Die Wirbelsäule als Achse schwächelt

Genau an diesem Zugleich freilich, und damit an dem, was ein Werk wie die Cellosuiten so besonders macht, scheitern die großartigen Tänzer von „Mitten wir im Leben sind“. Selbst wenn die Bewegungen mathematische Strukturen ausdrücken sollen, selbst wenn sie Spiralen und Pentagrammen folgen, die mit Klebestreifen am Bühnenboden befestigt sind, selbst wenn Keersmaeker, wie es heißt, alles um die Wirbelsäule als vertikale Achse organisiert hat: Die Horizontale, die Individualität der einzelnen Tänzer erweisen sich als stärker. Hier passiert nicht, was bei Bach passiert: dass all die menschliche Bewegtheit in eine überirdisch anmutende Ordnung gebettet – und damit auch tröstlich aufgehoben – wird.

Wundert es, dass man sich, wenn der großartige Jean-Guihen Queyras sein Cello zu streichen beginnt, anfangs wünscht, er möge allein weiterspielen, ganz allein Punkte, Linien, Säulen und Bögen in den dunklen Raum setzen? Dass einem die Körper zu sehr Körper bleiben, zu sehr einzelner Mensch?

Aber es ist ein großartiges Scheitern – zumal es vor allem in der dritten Suite mit Marie Goudot dann doch magische Momente der Verwandlung gab. Goudots unfassbar geschmeidiger Körper schien sich geradezu in das Instrument zu verwandeln, die Musik aus sich zu erzeugen. Kurz stellte es sich ein, das überwältigende Gefühl, hier gebe die Choreografie der Musik etwas dazu, etwas Essenzielles – statt ihr mit dem, was sie dazutut, eher etwas wegzunehmen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.07.2018)

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