Dr. Choy blickt beim Tanz ins Hirn

„Was denkt die Person auf der Bühne?“ Choy Ka Fai in der „Dance Clinic“, ab Donnerstag in Wien.
„Was denkt die Person auf der Bühne?“ Choy Ka Fai in der „Dance Clinic“, ab Donnerstag in Wien.(c) Law Kian Yan
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ImPulsTanz. „Ich habe mit der Messung von Gehirnströmen experimentiert“, sagt Choy Ka Fai. Und er erzählt, wie er mit einem verstorbenen Meister in Kontakt getreten ist.

Gleich zwei Programme – und eine Ausstellung – zeigt Choy Ka Fai beim Festival ImPulsTanz: Einmal beschwört er den Geist des Erfinders des japanischen Tanzstils Butoh; einmal tritt er als Doktor Choy in Aktion, in dessen „Dance Clinic“ sich Performer behandeln lassen können. Mit der „Presse“ sprach er über seine aufsehenerregenden Programme – und über die Lage in seiner Heimat Singapur.

„Die Presse:“ Sie stammen aus Singapur, einem Stadtstaat mit strengen Regeln. Wie beeinflusst das Ihre Arbeit?

Choy Ka Fai: Seit 2009 lebe und arbeite ich in Europa – erst in London, jetzt in Berlin. Singapur hat als Nation ja eine sehr kurze Geschichte und ist nur 50 Jahre alt. Ich erinnere mich daran, dass ich immer über unsere Landesgrenzen hinaus geschaut habe – auf die Kultur in Japan oder Indonesien. Als singapurischer Künstler trage ich im Vergleich nicht so viel kulturelles Gepäck mit mir herum. Gleichzeitig wurde ich unterstützt, ohne diese Förderung hätte ich nie die ersten Schritte machen können.

Kann man in Singapur frei arbeiten?

Ich könnte zwar wahrscheinlich machen, was ich mache – aber es ist ermüdend, ständig die roten Linien zu beachten. Da sind diese gesellschaftlichen Regeln: Mein Stück „Dance Clinic“ wurde in Singapur nur für 18+ freigegeben – weil ich darin einen Tänzer aus Papua Neuguinea habe, der ein traditionelles Kostüm trägt mit einem hölzernen Penis-Köcher, wobei die Hoden nicht verdeckt sind. Ich verstehe das nicht, wir zeigen ja keine sexuellen Praktiken oder so. Ich fand es mühsam, darüber zu diskutieren. Ich will lieber darüber nachdenken, wie ich die Performance noch verbessern kann, als zu versuchen, mich zu fürchten. Denn auf eine bestimmte Art geht es dabei um Angst – in diesem autoritären Staat, der nur ein bisschen demokratisch ist. Meine Eltern sind so aufgewachsen, und sie haben mir beigebracht, meine Furcht zu verstecken.

Wer fürchtet sich in Singapur?

Es ist unsichtbar. Die Menschen fürchten sich, weil man nie weiß: Wenn man das oder das tut, kriegst man dann Schwierigkeiten oder nicht? Man weiß das erst, wenn man schon in Schwierigkeiten steckt. Deshalb gibt es viel Selbstzensur unter Künstlern in Singapur. Und immer stellt man sich diese Frage: Ist es sicher oder nicht sicher, etwas auf der Bühne zu machen.

In „Dance Clinic“ treten sie als „Doktor Choy“ auf und messen die Gehirnwellen von Tänzern bei der Arbeit – wie sind Sie denn darauf gekommen?

In einem vorhergehenden Projekt habe ich die Muskelbewegungen des Körpers gemessen und versucht, die Tanzbewegungen zu digitalisieren und in einer digitalen Bibliothek zu speichern. Dann habe ich weiter gemacht, um zu verstehen, was beim Tanzen im Gehirn vorgeht. Ich sehe oft Performances und frage mich: Was denkt die Person auf der Bühne gerade? Ich habe mit der Messung von Gehirnströmen experimentiert: Man kann den Grad der Spannung ablesen, auch aktives Denken, aber es gibt keine Möglichkeit, die Emotionen zu messen. Ich weiß also nicht, ob der Tänzer bei einem Schritt oder einer Bewegung glücklich ist oder nicht. Vielleicht kann ich ja eine Künstliche Intelligenz erfinden, die den Tanz und choreografische Prozesse versteht.

Woher haben Sie das technische Wissen?

Ich habe Interaction Design in London studiert. Da haben wir viel mit Wissenschaftlern und Technikern zusammengearbeitet. Die Idee dieser Ausbildung ist, über die Zukunft nachzudenken, über neue Technologien und die Auswirkungen auf die Gesellschaft.

Sie zeigen bei ImPulsTanz auch „UnBearable Darkness“, ein Stück über Butoh.

Was ich an Butoh mag, ist die Haltung. Als Tatsumi Hijikata ihn kreiert hat, war das rebellisch, ein Hinterfragen der Realität. Im Japan der 1960er-Jahre gab es nur traditionelles No-Theater. Und es gab westlichen Tanz, deutschen Ausdruckstanz. Er wollte etwas anderes für sich, etwas für seinen Körper, denn der asiatische Körper ist anders als der westliche. Auf dieser Attitüde basiert Butoh. Heute wird Butoh immer stereotyper. Ich möchte mit meinem Stück daran erinnern, nicht auf den Butoh-Meister zu vergessen. Ich frage: Was könnte denn Butoh heute sein? Vielleicht ist Butoh ja schon tot?

Sie haben Kontakt zum Meister aufgenommen. Hijikata ist seit 1986 tot.

Ich habe einen Schamanen gebeten, ihn zu rufen und mit mir zu kommunizieren – und er hat mit mir geredet.

Wie findet man denn einen Schamanen?

Die haben eine Website, da kann man sich einen Termin ausmachen: 30 Euro pro Sitzung. Im Sommer treffen sich die Schamanen im Norden von Japan, beim „Berg der Angst“ – den halten die Menschen für den Eingang zur Unterwelt. Also kommen die Menschen dorthin, um mit ihren Verstorbenen Kontakt aufzunehmen.

Der verstorbene Hijikata gab also seine Zustimmung zu dem Stück?

Wenn er nicht einverstanden gewesen wäre, hätte ich es nicht gemacht. Aber so habe ich Inspiration von ihm bekommen: Wie würde Butoh in unserer Zeit aussehen, wenn er in der heutigen Gesellschaft leben würde?

Was werden Sie in Wien alles anschauen?

Vielleicht gehe ich wieder ins Weltmuseum. 2015 hatten wir es beim ImPulsTanz-Festival mit „Soft Machine“ als Spielort okkupiert – da habe ich einige Inspirationen mitgenommen. Ich habe dann meine eigene Expedition gemacht. Aber ich sammle lieber kostbare Geschichten als Objekte.

Programm: „Dance Clinic“, 19. und 21. Juli im Odeon; „UnBearable Darkness“, 20. und 22. Juli im Odeon; Ausstellung „The Wind That Cuts the Body“, 19. 7. bis 12. 8. im Odeon, Eintritt frei.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.07.2018)

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