ImPulsTanz: Performance-Selfie mit Babuschka-Effekt

(c) CIE/Willi Dorner/ImPulsTanz
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Willi Dorner lässt in seinem neuen Stück, „Many“, Realität und virtuelle Darstellung miteinander verschmelzen. Hier wird zwanghafter Ausstellungsdrang gelebt – bis allen das Hollywood-Lächeln vergeht.

Es beginnt mit dem Ende: Zwei Performerinnen heften Buchstaben an ein Plakat, bis dort „The End“ steht. Dann stellen sie sich dahinter, reißen ein Loch hinein und strahlen heraus mit einem aufpolierten Lächeln wie Stummfilm-Hollywoodstars. Das könnte schon der erste Hinweis sein: Selbstdarstellung und Medienpräsenz sind nicht erst heute wichtig für den Status – nur kann sich inzwischen jeder ins öffentliche Licht rücken.

In Willi Dorners „Many“ geht es um die digitale Vervielfältigung von Gesichtern, Menschen, Handlungen. Geschickt werden mithilfe von Videoprojektionen und Wiederholungsschleifen Realität und Virtuelles verwoben. Mit dem Mobiltelefon filmen sich die Frauen selbst – und werden dabei gefilmt. Auf der Videowall entsteht so eine Art Selfie mit Babuschka-Effekt: Die Live-Performance erscheint als digitales Bild (am Handy), was wiederum von einer Kamera an der Decke gefilmt wird, die ihre Bilder auf die Videowall projiziert. Es ist die Darstellung einer übersteigerten Selbstverliebtheit, die freilich nur einen kleinen Schritt von dem entfernt ist, was Facebook-, Snapchat- und Instagram-Jünger täglich vorleben.

Gesichts(ab)züge und Händetanz

Dorner führt den „zwanghaften Ausstellungsdrang“ vor, der unsere Gesellschaft befallen hat, sagt er: Vor allem das Gesicht unterliege dem „ikonischen Zwang, zum Bild zu werden“. Einmal halten sich die Frauen auf der Bühne Kopien ihrer Gesichter vors Gesicht: schwarz-weiße Abzüge ihrer Identität in zigfacher Ausfertigung. Wie wenig so ein Bild wert ist, zeigt sich, wenn das Letzte der Blätter weggeworfen ist und die echten Gesichtszüge hervorkommen: Wahres Leben ist mehr als seine digitale Abbildung. Aber wer weiß hier schon, was real ist? Wenn die Frauen mit ihren Händen und Armen auf einer Tischplatte einen Tanz vollführen, den das Publikum nur über die Videowall sehen kann, dann projiziert Dorner weitere Hände und Arme dazu – und die Verwirrung ist perfekt. Die schlangenartigen Bewegungen der Gliedmaßen erinnern an den faszinierenden Blick in ein Kaleidoskop.

Irgendwann lösen sich die Frauen in diesem digitalen Verwirrspiel auf – ihre Gesichter werden von der Projektionsfläche radiert, ihre Körper zu einem Heer digitaler Figuren vervielfacht, in dem nichts Menschliches mehr zu erkennen ist. Da ist ihnen das Hollywood-Lächeln vergangen – es bleibt nur als Erinnerung. Auf der Videowall.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.08.2018)

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