Witze reißen im Angesicht des Todes

'KOMMT EIN PFERD IN DIE BAR'
'KOMMT EIN PFERD IN DIE BAR'APA/BARBARA GINDL
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Samuel Finzi beeindruckt als Stand-up-Comedian Dov in „Kommt ein Pferd in die Bar“ von David Grossman. Entzückend: Mavie Hörbiger als Mädchen Pitz.

In einem Interview beschreibt der israelische Schriftsteller David Grossmann, wie sich aus einem Wortschwall allmählich Wahrheiten herausschälen. Psychoanalytikern ist dies vertraut. Bei den Salzburger Festspielen war heuer „Kommt ein Pferd in die Bar“ von Grossman zu sehen – über den Stand-up-Comedian Dov Grinstein und seinen letzten anarchischen Auftritt. Nun ist die Produktion ins Akademietheater übersiedelt: Ein Erlebnis ist das allemal.

Eines, das den Schauspieler als König des Theaters zeigt, von den zerkratzten Cowboystiefeln hinauf bis zur blutigen Wange. Über zweieinhalb Stunden ohne Pause tobt Samuel Finzi über die Szene, die schiere Gedächtnisleistung, mit der er sich Grossmans gewaltigen Text einverleibt hat, überwältigt. Doch Finzi zeigt auch die Entwicklung dieses gallbitteren Entertainers von der penetranten Anmache des Publikums zu Beginn bis zum Schluss, wenn Dov grau und ausgelaugt seine letzten Worte spricht: „Jetzt bin ich ein bissel müde.“ Fast noch mehr begeistert allerdings Mavie Hörbiger als Dovs Kinderfreundin Pitz, die zwar immer wieder auf seine Kapriolen kurz hereinfällt, aber als Partnerin im echten Leben mit ihrem letztlich stoischen Beharren auf den wirklich wesentlichen Dingen des Lebens diesem Irrsinnigen beikommen könnte.

Spröde Perfektion

Erzählt wird hier, getreu Grossmans lyrisch anmutender Methode, in der sich die Sprache wie eine Spirale bohrend immer tiefer hinabdreht, von Israel und der Verzweiflung über die ewige Feindschaft, die dieses Land durchdringt – im Zweiten Libanon-Krieg starb Grossmans Sohn Uri; erzählt wird vom Trauma des Holocaust, vom bissigen und vom seichten jüdischen Witz und von der Macht des Wortes selbst. Und nicht zuletzt geht es in diesem Buch um eine abgründige Persiflage des viel geliebten Genres der Comedy. Klein Dov lernte auf seinen Händen laufen, um seine der Shoah entkommene Mama, die in einer Patronenfabrik am Fließband stand, zu trösten. Jeden Abend haben Mutter und Sohn eine Stunde Zeit – bis der prügelnde Vater heimkommt. Dovs Emanzipation von seinen beladenen Eltern, seine Flucht in den Witz, war kein Fehler, sondern seine Rettung. Aber er kommt nicht von seiner Vergangenheit los – auch das kennt der Psychiater.

Dušan David Pařizek, ein Könner, hat inszeniert. Und doch, ist diese Suada für die Bühne geeignet? Beim Lesen des Textes kann man innehalten, eigene Erfahrungen reflektieren, hier wird man überrollt, man könnte das böse Modewort „vollgetextet“ verwenden. Manche Zuseher sahen auf die Uhr, nickten ein. Die Kluft zwischen Theater und Roman war hier nicht zu überbrücken. So perfekt ist diese Aufführung, aber auch spröde – wie eine psychoanalytische Sitzung, bei der der Arzt am Ende froh ist, wenn der Klient mit seinem Rucksack wieder geht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.09.2018)

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