»Man muss endlich anfangen, die Juden zu entdämonisieren«

Oliver Polak hat ein neues Buch, "Gegen Judenhass", geschrieben.
Oliver Polak hat ein neues Buch, "Gegen Judenhass", geschrieben.Lukas Aigelsreither
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„Gegen Judenhass“ heißt das neue Buch des deutschen Stand-up-Künstlers Oliver Polak. Antisemitismus werde heute einfach hingenommen. Linke Politiker und manche Medien würden Israel „mit einer Besessenheit“ anschießen. Doch darüber rede niemand. Überhaupt fehle es gegenüber den Juden an jeglicher Empathie, sagt der Künstler.

Der deutsche Stand-Up-Künstler Oliver Polak bringt mit seinen Witzen über Außenseiter, Krankheiten, Juden und sich selbst viele Menschen zum Lachen und gleichzeitig schockt er sie mit seinem schamlosen Humor. Nach den Büchern "Ich bin Jude, ich darf das" und "Der jüdische Patient" hat er nun ein neues Buch "Gegen Judenhass" geschrieben. Hinter der Kritik an Israel verstecke sich zumeist Antisemitismus, sagt er. Und auch in Österreich werde gegen Judenhass viel zu wenig resolut aufgetreten.

Wir haben uns bereits vor zehn Jahren über Antisemitismus und jüdischen Humor unterhalten. Damals war die Lage ernst, aber keinesfalls hoffnungslos. Ist sie heute ernst und hoffnungslos?

Oliver Polak: Ja und ja. Ernst war sie immer und ich verstehe, dass Menschen jüdischen Glaubens heute große Sorge haben. Und was die Hoffnung angeht: Ich habe das Buch geschrieben, weil ich Hoffnung habe, aber ich kann mir nicht mehr vorstellen, dass meine Kinder in Deutschland aufwachsen.

Wieso?

Denken Sie an Chemnitz: Da kamen Tausende Rechte aus ihren Löchern gekrochen und man merkte, wie gut die organisiert sind. Und vor wenigen Tagen marschierten Neonazis durch Dortmund und riefen: „Wer Deutschland liebt, ist Antisemit.“ In beiden Fällen spielte die Polizei eine sehr fragwürdige Rolle. Da fühlt man sich nicht wohl, zumal es auch kaum Leute gibt, die aktiv dagegen auftreten. Die Politiker sind gerade sehr gefordert, weil sie diejenigen sind, die Gesetze verschärfen und Klarheit schaffen könnten. Aber auch in Österreich wird ja mit dem Thema sehr fragwürdig umgegangen. Ihr habt ja einen Innenminister, der für Jörg Haider Slogans geschrieben hat. Oder nehmen Sie Herrn Landbauer mit seinen Texten in diesen Liederbüchern. Und diese Leute werden befördert oder bekommen irgendwelche Positionen. Antisemitismus und Rassismus sind heute wieder salonfähig.

Es gibt den Antisemitismus von Rechts, der leider immer da war und offenbar stärker wird. Und zusätzlich den Judenhass, den viele muslimische Einwanderer in sich tragen. Dieser Antisemitismus ist womöglich stärker als der heimische.

Mein Gefühl ist auch, dass der Antisemitismus unter Arabern in Deutschland höher ist als jener unter Deutschen. Im Alltag erlebe ich, dass der arabische Antisemitismus offener und aggressiver, der deutsche jedoch perfider ist. Unlängst war ich bei der Ausstellungseröffnung des Malers Daniel Richter in London. Ein älteres deutsches Ehepaar sprach mich auf mein neues Buch an und sagte, sie fänden die Juden so toll, „weil sie so eine besondere Intelligenz haben“. Ich bin da nicht gekränkt oder so, aber ...

... der Oliver Polak von früher hätte darauf geantwortet: „und wir sind auch noch besser im Bett.“

Das wäre eine Lüge. Aber warten Sie einmal: Es gibt einerseits Oliver Polak, den Komiker und andererseits Oliver Polak, der dieses Buch über Antisemitismus geschrieben hat. Das sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Ein Beispiel: Vor fünf Jahren rief mich ein Kabarettist nachts an und fragte mich: „Stimmt es, dass die Juden ein Mittel gegen Krebs gefunden haben, das sie dem Rest der Welt vorenthalten?“ Im Buch kommentiere ich die Frage nicht. In meiner Stand up-Show würde ich auf so eine Frage anders reagieren.

Wie denn?

Ich würde antworten, dass wir dieses Mittel tatsächlich hatten, es leider in den Kellerräumen des World Trade Center gelagert war und es deshalb am 11. September 2001 auch in die Luft gegangen ist, als die Juden zwei Flugzeuge in die Twin Towers gejagt haben. Aber wenn ich ein Buch über Rassismus schreibe, bleibe ich nüchtern und neutral. Das heißt nicht, dass ich als Komiker nicht weiter meine Witze machen werde. Der Brite Ricky Gervais ist einer der derbesten Komiker auf der Bühne. Aber: Er setzt sich sehr gegen Tierquälerei ein. Das widerspricht sich ja nicht. In Österreich habt ihr auch solche Typen wie Josef Hader, selbst Stermann und Grissemann setzen sich mit existenziellen Themen auseinander. In Deutschland fehlen sie. Ich möchte die Welt nicht von Dieter Nuhr und Jan Böhmermann erklärt bekommen.

Wir auch nicht. Aber zurück zum Antisemitismus: Sie irritiert der einheimische mehr als der importierte, sagen Sie.

Flüchtlinge aus Syrien, die ihre Familien verloren haben und hier her kommen, denken nicht darüber nach, ob für sie die Juden das Problem sind. Der deutsche Antisemitismus hingegen war immer da und eine Aufklärung hat nie stattgefunden. Es gab nur dieses Anliegen ohne Anliegen, dieses blinde Ritual mit Sprüchen wie „Nie wieder“ und „Wehret den Anfängen“. Aber Empathie für jüdische Menschen hat trotz der deutschen Geschichte und der Säkularisierung gefehlt. In der arabischen Welt hingegen werden die Menschen von Anfang an mit Vorurteilen bombardiert. Sie werden oft homophob und judenfeindlich erzogen und die Frau steht auch nicht gerade an erster Stelle. Das ist kein guter Cocktail. Gleichzeitig fehlen mir fehlen die Leute, die aufstehen, wenn wieder dumme Sprüche fallen und sagen: „Stop, das ist Rassismus.“ Man muss den Menschen nicht die jüdischen Kulturen näher bringen, aber man muss endlich anfangen, die Juden zu entdämonisieren. Und noch etwas ist interessant: Der Jude wird als Opfer klein, aber als Täter, als Beherrscher der Welt große gemacht. Und beides wird ihnen negativ ausgelegt.

Wie kommt das?

Ich weiß es nicht. Nehmen Sie das Wort Isreal-Kritik: „Israelkritisch“ steht im deutschen Duden. Saudia Arabien-kritisch, Boko haram-kritisch findet sich nicht. Das spricht Bände. Mal ganz ehrlich: Warum schießen linke Politiker und große Figuren in der Medienlandschaft so manisch Isreal an? Das ist krank. Auch bei Roger Waters

(Anm.: ehemalige Mitglied von Pink Floyd)

mit seiner Anti-Israel-Bewegung, und Bushido fragt man sich, was sie treibt. Bushido hat Israel das Existenzrecht abgesprochen und lange Jahre als Profilfoto auf Twitter die Palästina-Karte – ohne Israel – abgebildet. Darüber redet niemand! Warum ist das erlaubt.

Die größte Boulevard-Zeitung Deutschlands, die „Bild-Zeitung“, war durch Axel Springer nie antiisraelisch wie es viele Feuilletons der deutschen Presse sind. Hat das keine Auswirkung?

Über die „Bild“-Zeitung müssen wir grundsätzlich nicht reden. Axel Springer war eine sehr fragwürdige Figur. Dennoch fand ich es vorbildlich, dass Springer immer klar war. Wer bei der „Bild“ schreiben will, muss einen Vertrag unterschreiben, dass er solidarisch zu Israel sein muss. Das ist ein Statement. Was andere Themen hingegen angeht, ist diese Zeitung brutal und zerstört auch Existenzen.

Hinter Israel-Kritik versteckt sich meist Antisemitismus, schreiben Sie. Wie übt man Ihrer Meinung nach Kritik an dem Land, ohne in den Verdacht zu kommen, antisemitisch zu sein?

Weiß ich nicht, ich habe kein Messgerät dafür. Jeder kann sagen, dass Benjamin Netanjahu oder Tayyip Erdogan ein Verbrecher ist. Deswegen ist niemand Antisemit. Aber es gibt Leute, die Israel jede Woche, jeden Tag zu ihrem Thema machen. Dahinter steckt nach meinem Gefühl so eine Besessenheit. Es gibt viele Länder, in denen noch viel mehr Ungerechtigkeiten passieren als in Israel.

Sie sagen, die Deutschen haben ihre Schuld und Scham nie verarbeitet. Wie verarbeitet man Schuld und Scham?

In Deutschland ist alles so theoretisch. Die Leute waren nach dem Krieg traumatisiert, sie spürten, dass sie viel Scheiße gebaut haben. Aber es gab hier – anders als in den USA – nie die Kultur von Therapien. Hier wurde geschwiegen und alles mit Alkohol weggespült. Es gab über all die Jahre nie eine identitätsstiftende Aufarbeitung. Im Gegenteil: In den Schulen haben Leute Geschichte unterrichtet, die im Krieg Menschen umgebracht hatten. Das ist absurd! Was mir immer noch fehlt, ist Empathie: Ich will nicht in einer deutschen Talkshow zu Gast sein, weil ich ein Buch über meine Depressionen geschrieben habe, und dauernd als Jude vorgestellt werden. Als ich den Moderator darauf ansprach, dass mir hier zu viel „Jude“ hervorgehoben wird, sagte er lächelnd: „Da musst du durch, das ist dein USP“.Der selbe Typ fand es Jahre zuvor auch witzig, nach einem Auftritt von mir seine Hände mit Desinfektionsspray zu besprühen.

Wieso sind Sie nach so einer Aktion überhaupt noch einmal in seine Show gegangen?

Das kann ich Ihnen sagen: Ich hatte das alles vergessen, ausgeblendet. Ich war ein sehr einsames Kind, weil ich immer wieder solche Situationen erlebt und mich als Konsequenz zurückgezogen habe. Dann hieß es oft: „Stell dich nicht so an. Ist ja nicht so schlimm gewesen!“ So habe ich gelernt, solche Erlebnisse zu übergehen. In diesem Fall realisierte ich nicht, was da gerade passiert. Erst als ich dieses Buch schrieb, erinnerte ich mich daran und fragte mich selbst: „Ei, wieso bis du da noch mal hingegangen?“?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.09.2018)

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