Theater in der Josefstadt

Kaninchen und Grillfleisch - Oder: Was Mother Mary sah

Nicole Heesters begeisterte die Zuschauer.
Nicole Heesters begeisterte die Zuschauer.(c) Bo Lahola
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Nicole Heesters begeistert mit einer punktgenau einstudierten One-Woman-Show: "Marias Testament" von dem irischen Schriftsteller und Journalisten Colm Tóibín ist allerdings eine ziemlich voraussehbare Geschichte nach dem Motto: Und die Bibel hat doch nicht recht.

Das Marienheiligtum nahe Ephesos gibt es tatsächlich: In einem Steinhaus soll die Muttergottes ihren Lebensabend verbracht haben – mit dem Apostel Johannes. In „Marias Testament“ vom irischen Schriftsteller und Journalisten Colm Tóibín wird die Idylle zum Gefängnis. Denn Maria soll Zeugnis ablegen, Johannes und sein Evangelistenkollege Markus schreiben emsig, aber ihr Testimonial erzählt nicht, was sie von ihm verlangen: Maria offenbart sich als Atheistin.

Sie ist vor allem entsetzt, dass ihr braver Bub, der einst mit Papa Josef so folgsam vom Tempel heimging, sich derart ausgewachsen hat – zum Rebellen gegen die römische Besatzungsmacht und die bis zu seinem Erscheinen friedliche jüdische Parallelgesellschaft. Maria wirtschaftet in ihrer Klause herum, sie kehrt, schält Äpfel, trinkt Wasser, auf dem Tisch warten schon die Erdäpfel für das Mittagsmahl. Marias Wächter sind anscheinend nicht da, jetzt muss sie sich endlich einmal kein Blatt vor den Mund nehmen. Sie weiß ja wie es war, sie war bei der unbefleckten Empfängnis dabei, pah, Maria regiert auf diese Mär wie die zwei Greisinnen, die sich über die Geschichte mit dem Engel unterhalten, die eine hält ihre verschrumpelte Hand ans Ohr und schaut die andere ungläubig an: „A Virgin Birth, really?“ Auch sonst verhält es sich mit diesem Stück teilweise wie mit einem Witz. Witze sind aber eben nicht zufällig oft kurz.

Auch dem Krimikonsumenten dämmert bald, was hier vor sich geht. Den Gläubigen mag es nerven, aber die Bühne und die Kirche sind ja nicht immer freund, kaum trat das Spiel auf den Plan, schon wurde es von der Religion geentert, sie nutzte es für ihre Botschaften. Das Theater brauchte lang, um sich zu emanzipieren, zuletzt sind fast nur mehr läppische oder üble Repräsentanten des Glaubens auf der Bühne zu sehen.

Mama! Lass endlich los!

„Kein Ritt auf der Blasphemie-Klinge“, verspricht Regisseur Elmar Goerden im Programmheft, eine Kontrafaktur. Geschenkt, aber das hier ist ein Vortrag über das Nicht-loslassen-Können, das Ratgeberbücher füllt. Und wie viele Mamas hat auch Mama Maria recht, ihr aufgeplusterter Sprössling mit seinen Geistheilertricks, der sie anherrscht: „Weib, was habe ich mir dir zu schaffen?“, wird bestraft, Hochmut kommt vor dem Fall. Usw. Passions- und Heilsgeschichten sind nicht umsonst in einen Kanon eingeschlossen, herausgelöst bleiben Banalitäten: Ein röhrender Sterbender, umgeben von Gaffern, die Grillfleisch braten und einen Raubvogel mit lebenden Kaninchen füttern. Theater trifft hier auf effekthascherischen Filmblockbuster, alles animiert und in diesfalls sprachlicher Nahaufnahme. Die Aufführung dauert rund 90 Minuten. Packend, fast verblüffend, ist nur der Schluss. Nicole Heesters ist eine wunderbare Schauspielerin. Den langen Text hat sie punktgenau einstudiert. Von der Mater Dolorosa („Sieben Schwerter gehen durch mein Herz“), ein berühmtes Motiv der Kunstgeschichte – tief verankert im Leben aller Mütter dieser Erde – hat diese eindrucksvolle Künstlerin, die überallhin besser passen würde als in diese Geschichte, nichts. Maria ist ja auch ein Symbol für Unschuld, Demut, Hingabe – all das passt nicht in unsere Zeit.

Dramatisch, aber etwas bieder gedacht

Das Publikum bejubelte Samstagabend ein Virtuosenstück, bei dem allerdings bewiesen wird, was viele ahnten: Theater und Religion gehen nicht zusammen, nicht so. Im Match Theater gegen Kirche herrscht seit Langem Waffenstillstand, die einen feiern Passionsspiele, die anderen ihre Grotesken. „Marias Testament“ besteht aus einem Einfall, gut für eine Soap oder eine Comedy, zu wenig für Literatur, dort fällt dieser Text in die Sparte biederes antiklerikales Lehrstück.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.10.2018)

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