Reiches Europadrama mit alten Kindern und einer bekannten Kanzlerin

Kinder und Allegorien beim Fernschauen in Miroslava Svolikovas „Europa flieht nach Europa“: Ensemble Valentin Postlmayr, Sven Dolinski, Marie-Luise Stockinger, Marta Kizyma, Alina Fritsch (v. l. n. r.)
Kinder und Allegorien beim Fernschauen in Miroslava Svolikovas „Europa flieht nach Europa“: Ensemble Valentin Postlmayr, Sven Dolinski, Marie-Luise Stockinger, Marta Kizyma, Alina Fritsch (v. l. n. r.) (c) Reinhard Maximilian Werner
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Kasino. „Europa flieht nach Europa“ von Miroslava Svolikova erfreut mit originellen Mythenmontagen und Sprachwitz – der allerdings an Elfriede Jelinek erinnert.

Sie kommen nicht los von Elfriede Jelinek, die jungen Autoren und Autorinnen. Aber sie geben sich Mühe. Im Kasino ist seit Mittwochabend „Europa flieht nach Europa“ von Miroslava Svolikova zu sehen, sie verzichtet auf Großbuchstaben, was wir aus Gründen der Rechtschreibung nicht tun, aber ist das großes Theater? Es ist groß, weil es von jungen Leuten für junge Leute gemacht ist. Es erschafft neue, auch sprachliche Wirklichkeiten. Heutige Jungautoren haben vieles studiert, sie kennen sich mit Mythen und Theorien aus, haben in Schreibwerkstätten gelernt, Bildungsgut zu demontieren und neu zu montieren.

Die Stücke sind aber auch klein, weil sie selten so monumental wirken wie Dramen von Peter Handke, Werner Schwab, Marlene Streeruwitz oder eben Jelinek. Die Botschaft ist oft weniger abgründig, eher ironisch. Es ist, als würden junge Künstlerinnen und Künstler ahnen, dass ein Umsturz zu großen Verlusten führen könnte, vor allem der Freiheit, alles in Schwebe zu halten und jederzeit aufzubrechen. Auch Europa bricht auf.

Nicht freiwillig. Die Geschichte der Tochter des Königs Agenor ist ein beliebtes Motiv der Kunstgeschichte. Mit ihren Freundinnen spielt sie am Meer bei Tyros, heute in der Gegend von Palästina. Zeus entflammt in Begierde, er verwandelt sich in einen Stier und entführt das Mädchen. So beginnt auch Svolikovas Stück. Dorothee Hartinger, als Europa der deutschen Kanzlerin Angela Merkel nachgebildet, erträumt sich eine ideale Welt. Mit der Spitze eines Haares tötet sie den Stier und schwört: „Dieser Ort wird nicht aufbauen auf dem Recht des Stärkeren.“ Doch nach dieser Ansage beginnt der Weg durch das Labyrinth der Zeit.

Immer wieder reißt der Ariadnefaden der Geschichte. Svolikova, Autorin und bildende Künstlerin, folgt der Historie und schichtet Folien auf Folien, kaum glaubt man, etwas identifiziert zu haben, schon liegt eine neue Folie darüber. Trotzdem ist allerlei zu erkennen: Hexenjagd, Gottsuche, Kriege, Grenzziehungen, eine Putzkolonne watet im Blut. Bauern beklagen ihr schweres Los. Zeitmangel, Burn-out heißen die Leiden der Gegenwart. Neue und alte Kinder stolpern durch einen ewigen Karneval.

Diese Figuren sind niemals zufrieden

Immer wieder taucht Europa, die Utopie, aus Chaos, Dunkelheit mit Techno-Wummern auf, energisch behauptet Europa, die Frau, ihr Recht auf ein Paradies, „auf die Hoffnung, die niemals ausstirbt. Das ist der Motor der Welt, auch wenn ihr tausend Köpfe abhackt, es wächst immer einer nach.“

Dame Europas Optimismus ist auch skurril. Im rosa Krinolinenkleid verspricht sie Nahrung für alle, sie hebt den Rock, darunter sind viele Brüste, aber die genährt werden sollen, sind verduftet. Was immer geboten wird, keiner ist je zufrieden. Die Figuren bedrohen ihre Förderin – und doch wollen sie dieses Europa und intonieren die Hymne: schön, schrill. Regisseur Franz-Xaver Mayr hat dieses Drama gewollter oder ungewollter Peinlichkeiten belebt – mit einem Ensemble, das gekonnt durch Svolikovas lyrisches Sprachgewühle pflügt.

König, Bauer, brauner Regenbogen

Alina Fritsch – mit Kurzhaar und Russenmütze kaum zu erkennen – hat urkomische Szenen etwa als Gelehrter, der das Wort Individuum repetiert bis zum Verhaspeln. Valentin Postlmayer verwandelt sich vom irren König zum Bauern. Sven Dolinski tritt als Regenbogen auf, der sich wehrt, dass er gequetscht wird, weil dann alle Farben zusammenrinnen und braun werden. Marta Kizyma und Marie-Luise Stockinger gestalten köstliche Allegorien. Hilfreich wäre gewesen – wie früher üblich –, den Text im Programmheft abzudrucken. Svolikova hat die Rollen bezeichnet, erwähnt werden aber nur die Schauspieler. Auch wirkt Mayrs Regie deutlich kulinarischer als das Stück selbst.

Immerhin, diese Aufführung nimmt Europa nicht nur als Vorwand, sondern vermittelt Ideen zu diesem vielschichtigen Begriff. Mögen junge Autoren auch verspielter wirken als die älteren, sie haben viel zu erzählen. Mit Ferdinand Schmalz, Thomas Köck, Yade Yasemin Önder (ihr Stück „Kartonage“ lief ebenfalls im Kasino) oder Svolikova ist eine neue Generation herangewachsen: postmodern, aber listig und humorvoll.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.10.2018)

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