Wien Modern: Begehbare Klanglandschafen

Über 300 Studierende der Musikuni spielten die „begehbare Symphonie“ von Georg Nussbaumer.

Aus allen Sälen, Zimmern und Studios sprudeln die Töne. Ist es ein Tag wie jeder andere an der Musikuni? Nein. Denn auch Foyers und Stiegenhäuser quellen über vor Dirigenten, Ensembles und Solisten – und die akustische Fülle wird zum direkten, körperlichen Erlebnis für die fröhlichen Neugierigen aller Altersgruppen, die bei freiem Eintritt durch die Klangwogen waten.

Wien Modern feiert in allen Dimensionen. Es gibt auch große Kleinprojekte, etwa Marino Formentis „Café Cage“: Da versetzt der Pianist Klaviermusik von John Cage ins Ambiente diverser Kaffeehäuser (noch am 24., 26. und 27. November). Schon zu Beginn des Festivals hat Formenti gemeinsam mit einem flexiblen Ensemble die Bibliothek der Universität für Musik und darstellende Kunst mit Werken aller Epochen und Stile stundenlang unter Klang gesetzt. Nun wurde der MDW-Campus zum Schauplatz eines Großprojekts. Cages „Musicircus“ stand da Pate – doch während bei dieser Zufallskomposition alles möglich ist (beliebig viele Menschen kommen an einem Ort zusammen und musizieren), gab es nun einen Plan: „Atlas der gesamten Musik und aller angrenzenden Gebiete“ nennt Georg Nussbaumer seine über drei Stunden lange „begehbare Symphonie“, die er für mehr als 300 Studierende verfasst und zugleich in die Räumlichkeiten der Musikuni mit 13 definierten Regionen eingeschrieben hat.

Eine Partitur wie eine Landkarte

Tatsächlich ist die Partitur eine Art Landkarte, gut zweieinhalb Meter lang und fast zwei Meter hoch. Minutenweise strukturiert, sind den Ausführenden bestimmte Klangereignisse vorgeschrieben, Liegetöne, Akkorde, Tonleitern sowie gewisse „Repertoirefenster“ für beliebige Stücke der Musikgeschichte in der jeweiligen Besetzung. Und dann formiert sich das alles zu übergreifenden Hörenswürdigkeiten wie einer „Trillerwolke“, verschiedenen „Lärmbergen“ oder einer donnernd ausbrechenden „Klavierhölle“ (die weit mehr Publikum anzog als der zeitgleiche „Geigenhimmel“). Beim zweiten Abgang der Beethoven'schen „Ludwigslawine“ klimperten Mädchen auf dem Computer-Bösendorfer mit. Das alles war besser als ein Tag der offenen Tür und schöner als eine simultane Konzertserie, es war eine humorvolle Feier des Klangs. (wawe)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.11.2018)

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