"Philotas": Preußisch-griechischer Kamikaze

Philotas Preussischgriechischer Kamikaze
Philotas Preussischgriechischer Kamikaze(c) APA/GEORG HOCHMUTH (GEORG HOCHMUTH)
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Ein außergewöhnlicher Abend im Burgtheater: Lessings Einakter "Philotas" im Vestibül – Michael Höppner bringt eine erfrischende Interpretation von Heldenwahn, neigt aber ein wenig zur Übertreibung.

1759, als der Siebenjährige Krieg zwischen Preußen und Österreich voll im Gange war, publizierte Gotthold Ephraim Lessing anonym „Philotas“, einen Einakter in strenger Form, die an die französische Klassik erinnert. Er handelt von einem Prinzen, der vom Feind in einem Scharmützel gefangen genommen wird. Auch der Sohn des gegnerischen Königs wird zur Geisel, es soll vernünftigerweise zum Austausch der Königskinder kommen. Doch Philotas zieht den Selbstmord vor, um seinem Vater Vorteile im Krieg zu verschaffen.

Diese Geschichte vom falsch verstandenen Heldenmut ist so abstrus, dass Lessings Kritik am aggressiven Patriotismus deutlich wird. Die Verherrlichung Preußens in antikem Kostüm hatte er nicht im Sinn. Im Vestibül des Burgtheaters, wo der selten gespielte „Philotas“ am Donnerstag Premiere hatte, wurde dieser kritische Aspekt von Regisseur Michael Höppner herausgearbeitet, und man stellte auch noch ein wenig Aktualitätsbezug her. Mitten im Raum, gesäumt von Zuschauerreihen, steht die Zelle, in der Philotas (Simon Kirsch) schmachtet – ein Metallbett, eine Dusche, WC, TV und eine leuchtende Goethe-Büste. Diese Requisiten (Bühne: Vincent Mesnaritsch) kontrastieren mit den griechisch-römischen Rüstungen der Männer (Kostüme: Nina Gundlach). Der junge Mann ist scharf wie eine Bombe, neigt zur Selbstverstümmelung, Philotas ritzt sich mit dem Taschenmesser das Handgelenk.

Der Sterbende als Hakenkreuz

Alles nur Spiel? Die Auftritte von Markus Hering als König Aridäus und Bernd Birkhahn als dessen Feldherr Strato scheinen dies zu vermitteln. Sie behandeln den Gefangenen zwar mit Respekt, aber zugleich auch wie ein Kind, lächeln über seinen gefährlichen Idealismus. Durch das antike Outfit und manche große Geste bewegt man sich am Rand der Lächerlichkeit, das kontrastiert mit der sanften Ironie und den modernen Szenen, etwa jener, in der Philotas, zum Selbstmord entschlossen, duscht. Er reibt sich mit schmutzigem Wasser ein.

Da neigt der Regisseur bei der Verwendung von Symbolen ein wenig zur Übertreibung, so wie im Schlussbild, wenn der Sterbende in Form eines Hakenkreuzes auf seinem Feldbett liegt, oder mittendrin in seiner Qual, wenn er eine Charade auf das irakische Gefängnis von Abu Ghraib macht; der Gefangene sieht aus wie ein Folteropfer mit Kapuze. Selbst die Musik (Karl Stirner) wird bedeutungsschwer. Schlüssiger wirkt die Konfrontation des Philotas mit seinem als Boten benutzten Soldaten Parmenio, der sich dem Irrsinn des Prinzen kurz widersetzt.

Juergen Maurer spielt diese entscheidende Nebenrolle hervorragend, in dem kleinen Saal wird auch deutlich, welch tolle Sprechtechnik Maurer und Birkhahn haben. Der ist ein souveräner Krieger, Hering ein facettenreicher König und Kirsch vielversprechend in der Heldenrolle. Das Vestibül hat sich wieder als Experimentierstätte für einen außergewöhnlichen Abend bewährt.

Lessing im Krieg

„Philotas“ wurde von Lessing (1729–81) während des Siebenjährigen Krieges verfasst, nach dem Trauerspiel „Miss Sara Sampson“ (1755), vor der Komödie „Minna von Barnhelm“ (1767). Der antike Philotas war ein Feldherr Alexander des Großen.

Termine für „Philotas“ im Vestibül: 9., 25., 27., 28. April, 19., 25., 26. Mai., 20.30 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.04.2010)

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