Selbstzerstörung der Bühnenkunst

Schöne Fotos, trotzdem schwer verunglückt: „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“.
Schöne Fotos, trotzdem schwer verunglückt: „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“. (c) ALEX GOTTER
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Werk X. „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ von Heinrich Böll ist eine Wiederentdeckung. Doch Regisseur Harald Posch hatte bloß abgedroschene Ideen für das Buch.

Eine junge Frau besucht in Köln eine Party. Auf dem Platz in der City sind auch Polizisten, es kommt zum Tumult, die Frau wird als Unbeteiligte verhaftet, verhört und misshandelt. Diese Geschichte war im Jänner in den Ö1-„Hörbildern“, sie ähnelt Heinrich Bölls Buch „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“. Das Problem von Polizeigewalt ist nicht gelöst.

Heinrich Böll (1917–1985) war Literaturnobelpreisträger und eine wichtige moralische Instanz für das Nachkriegsdeutschland. Seine „Katharina Blum“ (1974) allerdings verursachte erhebliche Turbulenzen, im „Deutschen Herbst“ der RAF fühlte sich die damalige Bundesrepublik bedroht, Böll schien Öl ins Feuer zu gießen, indem er die Behörden auf der Jagd nach einem schuldlosen Opfer als brutal und lächerlich vorführte.

„Brillante Komposition“

Wer das Buch heute liest, ist eher geneigt, sich der „Neuen Zürcher Zeitung“ anzuschließen, die vom Verdacht des Sympathisierens mit rabiaten Linken gewiss frei ist: „Auf knappstem Raum entwickelt ein großer Erzähler eine brillante Komposition.“ Allein formal – in seiner schmalen Erzählung hat Böll das in den Siebzigern noch weniger ausgefeilte Format des Film- und TV-Krimis pointiert umrissen und gleichzeitig witzig persifliert, nach dem jedem Forensiker bekannten Motto: Wer die Teile noch so penibel zusammenfügt, hat damit keineswegs ein Ganzes und die Wahrheit getroffen.

Volker Schlöndorff und seine damalige Frau, Margarethe von Trotta, verfilmten 1975 „Katharina Blum“, ein Klassiker in Starbesetzung (mit Angela Winkler als Katharina, Hannelore Hoger, Mario Adorf, Jürgen Prochnow usw.). Harald Posch versuchte nun im Wiener Werk X in Meidling den Filmrealismus durch surreale Überhöhung zu toppen, was gründlich schiefging.

Die Geschichte in Kürze: Die Wirtschafterin Katharina Blum, hinter der alle Männer her sind, die aber tugendhaft bleibt, verliebt sich beim Tanzen in einen Burschen, sie verbringt mit ihm die Nacht und ist überzeugt, den richtigen Lebenspartner gefunden zu haben. Doch dieser Ludwig Götten ist ein Krimineller, am Morgen stürmt die Polizei die Wohnung Katharinas, die ihrem Lover gerade noch zur Flucht verhelfen kann. Wir sehen nun, wie Obrigkeit und Boulevardmedien diese naive Glückssucherin kaputtmachen. Nicht bei Posch: Im poppigen Bühnenbild (Daniel Sommergruber) rennen Menschen hin und her und deklamieren schreiend Komplexes. Katharina erzählt ihr Leben, der Zuschauer kann jedoch nur schwer folgen, schlechter Slapstick lenkt ihn ab: Ein Ermittler ist mit seinem Schuh im Mistkübel stecken geblieben, er kommt nicht heraus, endlich schafft er es, jetzt steckt der zweite Ermittler, der dem ersten geholfen hat, sich zu befreien, mit dem Kopf im Eimer. Die Symbolik dieser sinnlosen Szene überwältigt: Die Ermittler haben sich bei ihren Recherchen verheddert. Das wird noch deutlicher beim Verhör Katharinas.

Die aufgestockte Polizeimannschaft, die offensichtlich mehr auf Belästigung der vermeintlichen Delinquentin als auf Wahrheitsfindung aus ist, übt den Sesseltanz, die Männer turnen, schubsen und befummeln Katharina, die vorerst noch kooperieren will.

Ballern auf Medienprominenz

Was gibt's weiter zu berichten? Es erscheinen Kurz und Kickl bzw. Schauspieler mit Kickl- und Kurz-Masken, es wird weiter herumgebrüllt, und am Schluss kommt der Clou. Das Publikum wird aufgefordert, auf Bilder prominenter Vertreter der Medienszene im Fadenkreuz (Eva Dichand, Fellner und Co.) zu schießen. Keiner macht mit, währenddessen wird erzählt, welche Journalisten, die Missstände aufgedeckt haben, getötet wurden. Wie jetzt? Miese Presse, brave Presse? Posch kann sich offenbar nicht entscheiden. Das Beste an diesem Abend ist das kluge Interview, das er im Programm gab. Immerhin, zwei Schauspieler lassen Talent erahnen, Jennifer Frank und Daniel Wagner, ein ganz ein Böser (als Ermittler und als Journalist).

Das Werk X ist eine tolle Theorie- und Titelanstalt: „Erstes österreichisches Gutmenschentheater“, „Aufstand der Unschuldigen“, „Eure Armut kotzt mich an!“, das klingt nach markanten linken Positionen. Zu sehen gibt es öfter miserables Theater oder solches, das Entertainment dilettantisch kopiert und sich der Jugend anbiedert. Diese ist mit Facebook, Instagram, Netflix und Co. womöglich schon ganz woanders, die Bühnenkunst sollte besser aufhören, sich selber abzuschaffen, indem sie ihre wichtigsten Assets opfert: Sprache und Geschichten.

Wer nichts versteht, der geht auch nicht ins Theater. Zum Glück gibt es für ein paar Euro Bölls Buch, es ist leicht zu lesen, plausibel und spannend, man braucht keine Vorbildung dafür und ist schnell durch.

Katharina Blum, schreibt Böll, sei das verkörperte Wirtschaftswunder mit Auto, Eigentumswohnung und Ersparnissen, ihren Partner wählt diese Frau selbst. Viele junge Leute, und zwar beiderlei Geschlechts, haben heute nichts von dem, was Böll hier erwähnt, und ihren Partner wählen die Eltern. Posch hat eine aktuelle Geschichte entdeckt; warum er sie inszeniert hat, obwohl er nur abgedroschene oder peinliche Ideen dafür hatte, bleibt sein Geheimnis.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.02.2019)

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