Cirque du Soleil: Die verturnte Evolution

Wirbelnde Körper in stilisierten Eingeborenengewändern: Mit Ethno-Kitsch wird hier nicht gespart.
Wirbelnde Körper in stilisierten Eingeborenengewändern: Mit Ethno-Kitsch wird hier nicht gespart.Cirque du Soleil
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Aus Affen werden Überflieger: Die Show „Totem“, die jetzt in Wien gastiert, überzeugt zwar nicht szenisch, aber akrobatisch.

Mit den Stelzengehern und Feuerspuckern, die sich 1980 mithilfe einer kanadischen Förderung ihre erste Tournee finanzierten, hat der heutige Cirque du Soleil nicht mehr viel zu tun. Der Name steht für aufwendiges artistisches Spektakel, für gewitzte Akrobatik in schillernden Kostümen, eingebettet in Bühnenshows, die der Turnerei gern die Anmutung epischer Erzählungen geben. 4000 Leute sind bei diesem Zirkus beschäftigt, 18 Produktionen sind derzeit parallel zu sehen – in Las Vegas oder auf Tourneen in der ganzen Welt. Eine davon macht nun in Wien Halt: „Totem“, 2010 uraufgeführt, läuft noch bis 22. April in einem Zirkuszelt in Neu-Marx.

Der Regisseur und „Autor“ der Show, Robert Lepage, frequentiert als Theatermacher die Festivals dieser Welt. Auch bei den Festwochen war er schon. Er hat Opern inszeniert, auch an der Met – etwa den „Ring des Nibelungen“ mit einem Bühnenbild, das so schwer war, dass die Bühne mit Stahlbalken verstärkt werden musste. An technischem Bombast mangelt es auch „Totem“ nicht. Ein riesiger Schildkrötenpanzer, unter dem es wallt und rumort, entpuppt sich bald als raffiniertes Trampolin- und Reckgerüst, auf dem Artisten, die an farbige Frösche erinnern, umherwirbeln.

Am Ende der Show werden wieder ähnlich bunte Menschen, von biegbaren Balken katapultiert, durch die Luft fliegen. Nur dass ihre Kostüme an die Muster „verlorener südamerikanischer Zivilisationen“ erinnern sollen und ihre Kopfbedeckungen an Astronautenhelme. Vom Amphibienstatus zum modernen Menschen, der seiner Schwerkraft zu entgehen sucht: Diese Show hat sich das hohe Ziel gesteckt, die Evolution und Kulturgeschichte der Menschheit darzustellen. Sie scheitert dabei kolossal.

Nicht nur, weil die Szenen, in denen ein Darwin-hafter verrückter Professor und eine Art geheimnisvoller Konquistador über die Bühne schleichen, großteils Pausenfüller sind. Sondern auch, weil viele Nummern ausstattungsmäßig eine Parade der Ethno-Klischees bilden. Auf den Reifentanz eines Mannes im Indianer-Kostüm folgt eine Muskelshow mit einem italienischen Möchtegern-Casanova im Badehoserl, bevor ein wandelndes Evolutionsdiagramm auf die Bühne marschiert: ganz hinten ein gebückter Affe, vornan ein Businessmann mit Anzug und Koffer, der von seinen Vorstufen bis auf die Unterwäsche beklaut wird und auf einem klappbaren Poledance-Gerüst seinen inneren Primaten hervorkehrt.

Darwin jongliert im Glaskegel

Über die unlogische szenische Ausgestaltung der Show hinwegzusehen wird einem hier aber auch leicht gemacht. Denn akrobatisch überzeugt „Totem“ auf ganzer Linie. Und in ihren Bann zieht die Show dank traumhafter visueller Effekte ebenso. Atemberaubend, wie sich da ein Artistenpaar auf dem Trapez in schwindelnder Höhe zu Live-Gesang umgarnt und umschlingt, während zugleich jeder der beiden seinen Platz auf dem kleinen Gerät zu behaupten versucht.

Sehr nette Clownnummern bewahren das Publikum davor, vor lauter Spektakel zu ermatten. Und auch dieser Darwin läuft noch zur Hochform auf: In einem großen gläsernen Kegel rollt er virtuos leuchtende Bälle. Gewissermaßen bringt er auf den Punkt, was diese Show darstellt: die Evolution als wilden Jonglage-Akt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.03.2019)

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