Ödipus, Antigone und das große Klavier

(c) Landestheater Niederösterreich/Alexi Pelekanos
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Landestheater Niederösterreich. Alia Luque inszeniert voller Ernst zwei Dramen von Sophokles. Sie übernimmt sich dabei, denn es dominiert nicht die antike Tragödie, sondern die Musik.

Gleich zwei wuchtige griechische Tragödien des Sophokles aus dem fünften Jahrhundert vor Christus an einem fast drei Stunden langen Abend zusammenzuspannen ist mutig. Vor allem in der sperrigen Bearbeitung der modernen deutschen Klassiker Heiner Müller und Bertolt Brecht. Übermut aber zeigt, wer dazu noch die fantastische Pianistin Johanna Borchert zur Dauerpräsenz auf der Drehbühne macht, die mit romantischen, jazzigen und gänzlich freien Melodien und Rhythmen fasziniert. So schafft sie zwar Atmosphäre, dominiert zugleich aber das Geschehen, als wäre sie eine vielstimmige Seherin jenseits von Delphi. Selbst das harte Schicksal des Ödipus wird durch solch eine Begleitung zur Nebensache. Das tat der Inszenierung der renommierten spanischen Regisseurin Alia Luque, die am Samstag im Landestheater Niederösterreich Premiere hatte, nicht gut.

Das Orakel hat den Eltern von Ödipus, dem thebanischen Herrscher Laios und dessen Frau, Iokaste, vorausgesagt, dass der Sohn den Vater töten und die Mutter heiraten werde. Da hilft es nichts, dass sie den Auftrag geben, den Nachwuchs auszusetzen, also umbringen zu lassen. Er kehrt aus der Fremde zurück. Beim „Ödipus“ des Sophokles ist der Titelheld längst der unbekannte und nicht wissende Vatermörder, der als Herrscher und zweiter Gatte Iokastes die Stadt regiert. Nun erfährt er durch den Seher Tiresias und den Schwager Kreon all das Unheil. Iokaste erhängt sich, Ödipus blendet sich und geht mit Tochter Antigone ins Exil.
In „Antigone“ wird die Tragödie konsequent fortgesetzt. Die junge Griechin kommt zurück nach Theben, wo Kreon herrscht. Ihre Brüder haben einander im Kampf um die Stadt getötet. Der Angreifer, Polyneikes, darf nach Kreons Willen nicht bestattet werden – die größte vorstellbare Schmach. Was für ein Ungeheuer ist der Mensch! Antigone, diese schöne Seele, tut es dennoch und wird gerichtet. Aber auch der Taktiker Kreon scheitert, im Krieg gegen Argos. Macht und der Trieb dazu zerreiben hier fast alle.

Die Drehbühne als Glücksspiel

Wie bewältigt Luque diesen Stoff? Das sechsköpfige Ensemble, im kargen Bühnenbild von Christoph Rufer, in goldene, ambivalent männlich-weibliche Gewänder gekleidet (Kostüme: Luque, Rufer), spricht sich durch diese traurigen Mythen in einer Kurzfassung, die dennoch gefühlt zu lang ist. Es dreht sich die Bühne, die Darsteller nehmen Posen ein und werden mitgedreht. So wie das Klavier. Wie weit man den komplexen Text versteht, ist ein Roulettespiel. Oder sollte man sagen, ein von der Regie erzwungenes Schicksal? Michael Scherff zum Beispiel, der vor der Pause als Ödipus große Monologe zu bewältigen hat, wird von den Klängen meist zugedeckt, er hat bald Probleme beim Artikulieren. Schwer fällt es auch Silja Bächli, sich zu behaupten, wenn sie den Seher Tiresias spielt (der anfangs unter dem Klavier liegt). Als Iokaste und in anderen kleinen Rollen fällt ihr das leichter. Und Tilman Rose, der den stark reduzierten Chor vertritt (zudem einen Boten und Ismene spielt), kämpft ebenfalls gegen die dominante Begleitung – reiner Zufall, ob diese kurzen Passagen ankommen oder nicht.

Am besten findet sich Bettina Kerl mit den Umständen zurecht. Sie spielt nur eine Rolle, Kreon, das Bindeglied der Tragödien, hat beeindruckende Sprechtechnik und fabelhafte Präsenz. Auch Hanna Binder als Antigone und Tim Breyvogel in kleineren Rollen zählen zu den Stärken dieser Aufführung. Fazit: Viel wurde gewagt. Große Stoffe sollten sich zu einem Gesamtkunstwerk fügen. Doch das ist leider nur in Ansätzen gelungen. Die Musik setzte sich brutal durch.

Die nächsten Termine in St. Pölten: 10., 11., 29. Mai, 5. Juni.

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