Leichen in Badewannen, eine Nackte in der Röhre, zerschnittenes Zelluloid

(c) Michael Laub
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Mit einem recht albernen »Macbeth« begann das Wiener Festival ImPulsTanz, mit Doris Uhlichs »Tank« und Michael Laubs »Rolling« ging es stark weiter.

Radikal und politisch sei die Theaterkunst des Kärntners Johann Kresnik, liest man seit Jahrzehnten; er sei ein Berserker, lobte auch die Wiener Kulturstadträtin, als sie ihm nach der Premiere im Volkstheater das Goldene Verdienstzeichen des Landes Wien verlieh. Man hat große Lust, einmal einzuwerfen: Radikale Berserker haben in der Politik durchaus nicht nur Gutes gebracht. Diesfalls auch nicht in der Kunst.

Kresniks wortlose „Macbeth“-Version, 1988 uraufgeführt, ist ein Exerzitium des dick Auftragens, eine Materialschlacht der schweren Symbole. Badewannen als Särge, Goldene Ringe als Kronen, Messer an den Gewändern, ein Pferd, kübelweise Blut. Der König trinkt Blut aus den Brüsten der Hexen, die Lady Macbeth hat Blut an den Füßen und Drachen an den Händen. Kaum fünf Sekunden nach Beginn wird das erste Mal eine Ladung Fleisch und Blut in den Orchestergraben geschüttet, das wird sich wiederholen, wie so vieles in diesem Stück, weniger bis zum Erbrechen als bis zur völligen Langeweile. Die ästhetischen Reize des von Gottfried Helnwein gestalteten Bühnenbilds verlieren bald ihre Wirkung, schnell hat man begriffen, dass das Grauen hier in höchst symmetrischer Form regiert. Und dass die Macht, wer hätte das gedacht, erstens grausam und zweitens lächerlich ist.

Spätestens als die Hexen einen G'strampften tanzen, ist die Sache nur mehr albern. Und man fragt sich, was an all dem Getue so politisch (gewesen) sein soll. Dass sich die Inszenierung angeblich auf den mysteriösen Tod des CD-Politikers Uwe Barschel in der Badewanne bezieht, diese plumpe Anspielung hat den Test der Zeit noch weniger bestanden als das Stück insgesamt. Es wird besser. Macht nichts. Manchmal tut es ja gut, in die Geschichte zurückzublicken und festzustellen, dass früher ganz und gar nicht alles besser war. Dass heute vieles besser ist. Bei ImPulsTanz etwa: Die neuen Stücke, die am zweiten Abend des Festivals Premiere hatten, waren beide originell und gut.

Zunächst im Odeon die Oberösterreicherin Doris Uhlich mit „Tank“, einer Soloperformance, in der sie ihren ganzen, nackten Körper einsetzt – als „brave new body“, wie es heißt, als sie endlich der Röhre entstiegen ist, in der sie eingeschlossen war, anfangs völlig umnebelt, dann allmählich ihre Körperteile zeigend, ordnend, ans Glas pressend, an die Wände werfend, bewegend. War es die Phiole eines biochemischen Experiments? Eine Retorte für einen zweiten embryonalen Zustand, den sie durchmachen muss? Vielleicht gar eine Rakete, die ins All schießen könnte? Soll die Form – die Röhre hat vier Füße wie die gängige Darstellung eines Bakteriophagen – den Vergleich mit einem Virus nahelegen, dessen DNA verstreut werden soll?

Die zunächst unheimlich schwärende, später immer rhythmischere, nie zu plakative elektronische Musik fördert solches Grübeln. Die Performerin selbst beginnt nach langem Schweigen zu reden: über Körperlichkeit, über ihre Sehnsucht danach, zu schwitzen, zu riechen, zu stinken, zu ermatten. Dann bricht sie aus, in die Freiheit – die Freiheit, was zu tun? Wie gefangen ist man im Körper? Ja, kann man ihm denn nie entkommen? „Smart cars don't like suicide“, singt sie. Und im neuerlichen Nebel kommt ein zweiter Mensch auf die Bühne, wie zufällig: eine ältere Frau, bekleidet, rauchend, eine Freitagine für die Mrs. Robinson? Sie geht wieder, Uhlich ist wieder allein, ihre Stimme wird verzerrt, sie spricht über die „body machine“. Doch bevor es in Science-Fiction- und Robotik-Klischees münden könnte, ist das Stück aus. Es hallt nach.

Im Vergleich dazu unbekümmert, aber zauberhaft die dritte Premiere des Festivals: „Rolling“, eine neidlose Hommage des belgischen Choreografen Michael Laub an eine andere Kunstform, an jene, die das letzte Jahrhundert unserer Kultur beherrscht hat: den Film. Fünf Tänzer und fünf Tänzerinnen, alle offensichtlich Movie-Maniacs und ganz großartig, fallen in Rollen und aus den Rollen, spielen mehr oder weniger legendäre Filmszenen nach, manchmal ganz knappe, etwa das Wehen der Haare von Conan dem Barbaren oder ein Lachen aus „Thelma & Louise“, manchmal längere, etwa den Tod des Gustav von Aschenbach am Lido, ausgelöst durch Tadzios Winken, diesfalls sogar mit Unterbrecherwerbung: Sogar das funktioniert in dieser nicht nur rhythmisch perfekten Montage. Die naturgemäß kein Ende finden kann, es sei denn im Kinks-Song „Celluloid Heroes“, den Laub leider nicht gewählt hat (wohl konsequent, weil er unverständlicherweise in keinem Film vorkommt). Statt dessen nahm er „Dreams Are My Reality“, aber das ist auch schon das einzige, was man an „Rolling“ kritisieren kann.

Wenn das ImPulsTanz-Festival, das bis 11. August dauert, das Niveau dieses Tages hält, wird es sehr gut.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.07.2019)

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