Salzburger Festspiele: Das schöne Dorf der Rechtsradikalen

Sven Prietz (Anton) und Caroline Peters (Corinna Schaad)
Sven Prietz (Anton) und Caroline Peters (Corinna Schaad)APA/BARBARA GINDL
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Theresia Walsers „Die Empörten“ erfreut bei der Uraufführung im Landestheater mit prächtigem Spiel und prallen Typen. Burkhard C. Kosminski hat den brisanten Text präzise und witzig inszeniert.

Heiß ist es in Salzburg an diesem Sonntag. Auch in Florian Ettis Bühnenbild für Theresia Walsers „Die Empörten“ scheint die Sonne auf grüne Almen, blaue Berge und einen spitzen Kirchturm. Später wandelt sich die Szenerie: Die granitenen Wände und steilen Wipfel rücken immer näher, drehen sich zu schwarzen Monstern. Am Schluss sehen wir eine ausgedörrte Wiese. Fliegen surren. Sie erinnern an Sartres Variation des Atriden-Mythos.

Überhaupt gibt es hier viele Bezüge: zu Hiob, Werther oder Puccini, die als Symbole für Schicksal, persönliche Lebens- und Liebeskatastrophen und den Trost durch Musik gedacht sein mögen. Ein wenig Thomas Bernhard („Er hat die Berge immer gehasst“) spielt in dieses Stück herein, Ökologie, Krimis. Das Hauptsächliche dieses Textes, der vielschichtig wirkt, aber recht leichtfüßig daher kommt, ist aber wohl die Politiksatire und die gallige Komödie.

Walser bekam bei der Premiere ein paar kräftige Buhs. Die politische Tendenz gefiel wohl nicht allen. Und doch hat die Autorin mit diesen „Empörten“ ins Schwarze getroffen, ähnlich wie Luk Perceval, Feridun Zaimoglu und Günter Senkel 2005 am gleichen Ort mit ihrer krassen „Othello“-Bearbeitung.

Zerfall der Identität, Zerfall der Sprache

Politisches Theater glückt selten, das Sendungsbewusstsein („Seht her!“) oder die Kolportage (Schwarzweißmalerei) erstickt die Wirkung. Walser ist zwar nicht so gewitzt wie die an amerikanischen Vorbildern geschulten israelischen Theatermacher, etwa Yael Ronen, dafür wagt sie sprachlich mehr.

APA/BARBARA GINDL

„Die Empörten“ beginnen mit einem uralten Lustspieltrick: Zwei Leute schleppen eine Leiche auf die Bühne, der Tote steckt in einem grünen Sack, ein Fuß schaut heraus. Die unsichtbare Frau wankt unter der Plane und krallt sich an einem Tisch fest. Dann fällt die Last den Trägern herunter – und sie beginnen zu streiten. Später wird der Tote in einer Kiste verstaut, um die sich Legenden von Luther, der sich darin versteckt haben soll, über Hitler bis Stalin ranken . . .

Der scheinbar effektvolle Auftakt des Abends ist das Schwächste an ihm, er erinnert an Fernsehen und Comedy. Doch bald kommt die Geschichte in Fahrt: Bürgermeisterin Corinna Schaad in der hübschen Kleinstadt Hasenheide, hat einen Halbbruder, der Gedichte schreibt. Dieser junge Mann namens Moritz, der als Pizzabote arbeitet, raste in der Fußgängerzone in eine Menschenmenge, dabei rief er: „Allahu Akbar!“ (Gott ist groß). Der Hergang des Attentats – oder war es ein Unglück? - ist allerdings nicht ganz klar. Moritz ist jedenfalls tot. Corinna und ihr anderer Bruder, Anton, haben die Leiche entführt, denn es muss verhindert werden, dass das Ereignis der Bürgermeisterin und ihrer politischen Karriere schadet. Corinna, schwer bedrängt von Rechtsradikalen, ist bereits auf dem Sprung: „Der Sessel in Brüssel“ wartet. Zunächst aber muss sie eine gute Figur machen – bei der Trauerfeier für die Anschlagsopfer.

Anschlag, Opfer, stimmt das überhaupt? Alles eine Frage des „Wording“. Walser macht den Zerfall der Identitäten und der Sprache sichtbar. Caroline Peters spielt bravourös die Bürgermeisterin, die auf Ansiedlung großer Unternehmen und Willkommenskultur setzte, doch die einfachen Leute rebellieren. Auch die sogenannten Ausländer, die längst in Deutschland geboren sind und sich von ihren in die alte Heimat zurückgekehrten Kindern Geld schicken lassen müssen, weil sich das Leben im Westen nicht mehr ausgeht: Von der Gentrifizierung ihrer Wohnungen und der Umsiedlung in Sozialbauten an der Peripherie, wo die Ostmafia regiert, ganz zu schweigen: Frau Achmedi (Anke Schubert) offenbart diese ihre fürchterliche Geschichte. Und immer wieder betont sie, die Schuhe ihres bei der Attacke ums Leben gekommenen Mannes fest haltend, dass es ihr nicht einfällt, die liberale Bürgermeisterin zu wählen, die, wie Achmedi findet, lügt und von „Menschen“ faselt, für die sie aber gar nichts tut.

Wirtschaftlicher Niedergang für Arme

Frau Achmedi ist die stärkste Figur dieses immer wieder überraschenden Abends. André Jung gibt Pilgrim, den ideologischen Wallfahrer, Sekretär, Redenschreiber für alle Parteien, auch für die Rechtsradikalen. Deren Anführerin ist Elsa Lerchenberg (Silke Bodenbender), jünger als Corinna, studiert, hellblond, selbstbewusst und eine Demagogin ersten Ranges. Das hat sie wohl bei ihren Alt-68er-Eltern gelernt, sie saß bei Rudi Dutschke auf dem Rücken, heißt es einmal. Aber Elsa kann auch Koran-Suren auswendig: Man kann nie wissen, welche Wendung die Weltgeschichte nimmt. Der einzige lautere Kerl in diesem Panorama von Lumpen und Opportunisten, die ständig behaupten das Beste zu wollen, ist Anton (Sven Prietz) als Corinnas älterer Bruder. Er eilte herbei, um ihr mit dem lästigen Toten aus der Patsche zu helfen, ist aber zunehmend angeekelt von den Ränken der Lokalpoliti. Das Lügengeflecht seiner Schwester will er zerreißen und die Wahrheit ans Licht bringen. Bloß: Was ist denn jetzt die Wahrheit?

Burkhard C. Kosminski hat dieses Laborstück, das so sophisticated wie erdig ist, ideenreich inszeniert. Das Ensemble ist hinreißend. Kosminski ist Intendant in Stuttgart, die Aufführung eine Koproduktion mit dem dortigen Schauspielhaus. Das Schauspiel der Salzburger Festspiele scheint mehr und mehr dem mächtigen deutschen Markt überantwortet zu werden. Das ist ein wenig traurig. Die politischen Probleme freilich, das muss man zugeben, sind inzwischen in Österreich und Deutschland recht ähnlich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.08.2019)

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