Kritik

"Cats" im Ronacher: Brüchige Erinnerungen an bessere Zeiten

Die 80er sind zurück.
Die 80er sind zurück. APA/HANS PUNZ
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An der großen Show der geschmeidig tanzenden Jellicle Cats hat sich kaum etwas verändert. Nur Grizabella und ihre Interpretation von „Memory“ scheint übermäßig schwermütig.

Artige Standing Ovations gab es am Freitag für die munter fauchenden, geschmeidigen Katzen bei der Wiederaufnahme des legendären Musicals „Cats“. Um die Sorgen manch nostalgischer Fans vorwegzunehmen: Es wurde kaum etwas verändert an dem Blockbuster, der in den 1980er-Jahren so sehr begeisterte, dass das Stück sieben Jahre lang durchgespielt wurde. Große Änderungen wären aber auch nicht möglich gewesen. Die Lizenzgeber wachen streng darüber, dass die Show so bleibt, wie man sie kennt. Nur die Solisten haben etwas Spielraum.

Das Bühnenbild der Müllhalde, die sich weit hinein in den Zuschauerraum zieht, ist also bekannt. Ebenso der große Mond, dessen später besungenes Licht sich in 80er-Jahre-Ästhetik darüber ergießt. Hierher kommen die Jellicle Cats, um ihren jährlichen Ball zu feiern. Der greise Kater Alt Deuteronimus sitzt ihnen vor, als sie ihren jährlichen Ball feiern. Er darf entscheiden, welche der vielen Katzen würdig ist, wiedergeboren zu werden. Favoriten hierfür könnten der Katzen-Casanova Rum Tum Tugger (hervorragend: Dominik Hees) oder die alte Theaterlegende Gus (der beste Auftritt des Abends: Felix Martin) sein. Lose werden die Auftritte der einzelnen Katzen aneinander gereiht. Sie singen (auf Deutsch, das ist natürlich nicht so schön wie die englischen Verse von T. S. Eliot) von listigen Diebstählen, dem Sitzen am Ofen, der Erinnerung an bessere Zeiten.

Was Katzen immer so machen.
Was Katzen immer so machen.APA/HANS PUNZ

Kann das noch begeistern? Nur zum Teil. Die bekannte Choreografie, die Tanzeinlagen und die Akrobatik beeindrucken auch heute (herausragend etwa der Kanadier Stephen Martin Allan als Mr. Mistoffelees oder Hannah Kenna Thomas als anmutige weiße Katze Victoria). Und wer die eingängigen Songs früher mochte, wird sie auch jetzt noch gerne hören. Dass die Katzen ins Auditorium schleichen oder nachts grün leuchtenden Augen zeigen, war freilich vor Jahrzehnten revolutionär. Vielleicht dreht man deshalb, also im Sinne des bombastischen Effekts, die Lautstärke so stark nach oben? Es ist nur leider nicht jeder Singstimme zuträglich, wenn sie das Orchester der Vereinigten Bühnen Wien (unter Carsten Paap) übertönt.

„Memory“, brüchig vorgetragen. Anders Ana Milva Gomes, die stimmlich zwar brillieren könnte, ihre Rolle als Grizabella aber dermaßen schwermütig anlegte, dass sie den Hit „Erinnerung“ bei der Premiere eher durchleidet als singt. Als die ehemals schillernde Katze in ihren kleinen Stöckelschuhen auf die Bühne wankt, scheint sie nicht nur verletzt, sondern gebrochen. Dabei soll die Figur der Grizabella (ihr wurden, wie jeder anderen Katze, drei Attribute zugesprochen) auch eine gewisse Unbesiegbarkeit aufweisen. Am Ende zieht Grizabella bekanntermaßen mit Dampf und Hallelujah in höhere Sphären ein, ihren Sieg erringt sie also. Und mit ihr sicher auch das Musical, das als das erfolgreichste aller Zeiten gilt. Der Nostalgie-Effekt ist das größte Verkaufsargument, weshalb das enge künstlerische Korsett, das um das Musical geschnürt wird, aus finanzieller Sicht nachvollziehbar ist.

Ana Milva Gomes (links) wird von dem Clan abgelehnt. Und leidet sehr.
Ana Milva Gomes (links) wird von dem Clan abgelehnt. Und leidet sehr.APA/HANS PUNZ

Ein strenges Reglement gab es übrigens auch schon vor der Uraufführung – und es schränkte Andrew Lloyd Webber selbst ein: Bei seiner Vertonung von T. S. Eliots Kindergedichten erlaubten die Erben des Autors quasi kein Wort, das nicht von dem Dichter selbst stammt. Nun fehlte bei der Gedichtsammlung „Old Possum's Book of Practical Cats“ aber der rote Faden. Schließlich brachte Eliots Witwe das Fragment „Grizabella, the Glamour Cat“ an und es gab eine Figur, die die Handlung zum Teil tragen konnte. Um ihr mehr Raum zu geben, wurden Teile eines anderen Eliot-Gedichts eingebaut, so entstand „Memory“. Auf dem Grizabella-Fragment soll übrigens mit Bleistift die Anmerkung „Zu traurig für Kinder“ gestanden haben. Vielleicht interpretierte Gomes ihre Katze also ganz im Sinne des Dichters.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.09.2019)

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