„Was ihr wollt“: Großer Zirkus mit Shakespeares Narren

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bdquoWas wolltldquo Grosser Zirkus(c) REUTERS (HERWIG PRAMMER)
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Matthias Hartmann schöpft bei „Was ihr wollt“ das komödiantische Potenzial des Ensembles aus. Lustige Figuren dürfen glänzen, man genießt eine rasende Abfolge von Kunststücken begnadeter Charakterköpfe.

Eine Shakespeare-Legende besagt, dass der Dichter aus Stratford im gesetzten Alter von 52 Jahren nach einem Gelage an seinem Geburtstag gestorben sei. Sollte diese wissenschaftlich nicht verbürgte Geschichte stimmen, müsste man sich den wilden Will wie Nicholas Ofczarek vorstellen. Der stelzt als Sir Toby, um Reste an Würde bemüht, mit gespielten zwei Promille Alkohol im Blut mehr als drei Stunden über die Bühne des Burgtheaters. Man wird nicht müde, diese britische Karikatur im weißen Jackett und mit Orden anzusehen, schnurrbärtig, langhaarig, mit beginnender Glatze. So könnte der Stardramatiker aus London ausgesehen haben, nachdem er sich aufs Land zurückgezogen hatte, um sich gemessen jenen Lastern zu widmen, die Puritaner hassen.

„Charleys Tante“ auf Höchstniveau

Ofczarek war in dieser Maske bei der Premiere am Mittwoch schwer zu erkennen, nicht einmal an der Stimme – das passt doch perfekt zum Lustspiel „Was ihr wollt“, an dem nur Kleingeister kritisieren, es sei unwahrscheinlich, dass in die Liebe verliebte Männlein und Weiblein ihr Objekt der Begierde ständig verwechseln, bis zuletzt nicht wissen, wo vorne und hinten ist, wie Grenzdebile, die ins Stück „Charleys Tante“ geraten sind.

An dieser Inszenierung sollte man tatsächlich die Klamotte lieben, denn so viele Abstufungen von Narretei sind selten so perfekt und rampensaumäßig zu sehen. Wenn Maria Happel sich als geile Zofe Maria an ihrer Briefintrige gegen den steifen Haushofmeister Malvolio ergötzt, der in ein abenteuerliches Fiasko bei seiner Herrin gelockt wird, dann lacht sie mit dem ganzen Körper. Diese Maria ist ein Naturereignis. Michael Maertens hingegen als Sir Andrew Bleichenwang ist der ideale Saufkumpane für Toby. In viel zu großer Rüstung setzt er als verblödeter Landadeliger präzise Pointen.

„Halt's Maul, du Sau!“

Ist die Farce dieses Duos denn zu überbieten? Ja! Wenn Ofczarek mit Maertens und Sven-Eric Bechtolf als Clown Feste „Halt's Maul, du Sau!“ intonieren, vergisst man alle bisher da gewesenen „Drei Tenöre“. Die waren überschätzt.

Überhaupt wird die Musik, die gerade bei „Twelfth Night“ wichtig ist, raffiniert von Karsten Riedel in Szene gesetzt. Bechtolf benutzt sie als Kontrast. Souverän behauptet er sich als ernster Narr, der mit Mikrofon und Lautsprecherbox auf Rädern in diesem Irrsinn von Szene zu Szene zieht. Seine rockigen Lieder sind treffsicher, seine Kommentare sprachsensibel.

Konträr dazu ist Malvolio angelegt, eine Paraderolle für Joachim Meyerhoff. Er ringt um Worte, sie kommen bei diesem verspannten Charakter als Fehlleistung heraus. Der steife Höfling will geziert zu seiner angebeteten Gräfin Olivia (Dörte Lyssewski) sprechen, aber ihm entschlüpfen immer wieder Obszönitäten. Meyerhoff wirkt wie ein überforderter Regisseur, der versucht, eine außer Rand und Band geratene Truppe zu bändigen. „Euch kriege ich alle!“, droht er den anarchischen Krachmachern und schließlich auch dem Publikum. In diesen Momenten misslungener preußischer Ordnungsversuche scheint es gar, als ob der hoch gewachsene Burgtheater-Star in Mimik und Gestik seinen Direktor nachäfft. Wird Malvolio vielleicht gar deshalb nicht ins handelsübliche Gefängnis wie bei Shakespeare gesteckt, sondern lebend begraben wie in einem schlechten Thriller?

Diese Lifeschaltung per Videokamera ins enge Verlies des gequälten Haushofmeisters ist bedrückend. Man kann es als modischen Gag gerade noch durchgehen lassen. Weniger verzeihlich ist aber, wie Kapitän Antonio (Oliver Masucci), der mit Olivias Zwillingsbruder Sebastian (Simon Kirsch) eine bezaubernde schwule Liebesszene spielt, verhaftet wird. Hubschrauberlärm, Suchscheinwerfer, Lautsprecher sind entbehrliche Mätzchen. Zumeist aber hat sich Hartmann bei Regieeinfällen, die nicht der Handlung dienlich sind, stärker als bei seinen bisherigen Burg-Inszenierungen zurückgehalten. Auch die Bühne (Stéphane Laimé) ist von beeindruckender Schlichtheit. Ein großes Gemälde der Gräfin mit Effekten optischer Täuschung, ein Vorhang voller Blüten im Hintergrund, ein Klavier, Nebel für den Schiffbruch. Und viel Rampe. Hier ist Illyrien.

Flucht in Sentiment und Soap

Funkelnde Ideen gibt es in Fülle für die Comedy-Stars. Lustige Personen dominieren. Darunter leidet jedoch die Wirkung jener Darsteller in der Komödie, die gelegentlich die Hauptrolle spielen sollten. Sie werden an den Rand gedrängt.

Das ist ungerecht, denn es handelt sich auch bei ihnen um hervorragende Künstler. Aber Katharina Lorenz in der androgynen Doppelrolle Viola/Cesario wirkt im Vergleich zum Narrenexzess ziemlich blass. Im Dialog mit ihren Ansprechpartnern liegt wenig Spannung, es mangelt an Präsenz. Fabian Krüger flüchtet als Herzog Orsino in übertriebenes Sentiment, Lyssewski als begehrte und missverständlich begehrende Frau in die Seifenoper. Irgendwann stört das aber gar nicht mehr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.12.2010)

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