Ein entpolitisierter ORF? "Das wäre Chimäre"

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Der Wiener Anwalt Alfred J. Noll erklärt, warum die 2006 gegründete Plattform SOS ORF zurzeit ruht, dass die Entpolitisierung der ORF-Information gelungen ist, und wieso der Stiftungsrat dringend reformiert gehört.

Die Presse: Lebt SOS ORF noch?

Alfred J. Noll: Nein, definitiv nicht.

Woran liegt das?

Sie wurde nicht aufgelöst – sie ist gewissermaßen auf Stand-by. Es gibt momentan keine Akteure, die in der Öffentlichkeit Stellungnahmen abgeben.

Gibt es denn nichts mehr zu tun?

Ich glaube schon, dass es viel zu tun gäbe. Aber Initiativen wie diese sind immer auch eine Frage der Zeitumstände. 2006 war SOS ORF von einer Vielzahl von Leuten getragen, die unterschiedliche Lebens- und Interessenschwerpunkte haben. Der Auslöser für die Tätigkeit war, dass Minister Wilhelm Molterer angekündigt hatte, Monika Lindner werde jedenfalls Generaldirektorin des ORF. Das hat viele Leute so erregt, dass sie sich zu einem Engagement veranlasst gesehen haben. So einen Stein des Anstoßes gibt es jetzt halt nicht.

Die heutige Situation ist aber doch ganz ähnlich wie damals: Es gab von Anfang an einen Kandidaten, den die SPÖ favorisiert hat.

Der große Unterschied besteht darin, dass Molterer damals offiziell verlautbart hat, Frau Lindner werde die neue Chefin. Während die SPÖ hier und heute nur keinen Zweifel daran gelassen hat, dass Alexander Wrabetz ihr Kandidat ist, ohne zu verlautbaren, er werde es jedenfalls werden. Das macht einen wesentlichen Unterschied. Wrabetz hat seine Bewerbung eingebracht, und wir alle wissen, dass es für ihn gut aussieht, aufgrund des Fehlens von Gegenkandidaten. Es schien kurzzeitig, Gerhard Zeiler werde sich melden, nur hat er dann halt Nein gesagt. Sonst wäre das Match ganz anders ausgegangen.

Zeiler hat sich nicht gemeldet, weil er eindeutige Signale bekommen hat, dass er keine Chance haben würde.

Ja, weil die jetzige Situation den realen politischen Verhältnissen in Österreich geschuldet ist. Das kommt von der Großwetterlage in einem Land, in dem es eine Große Koalition gibt. Ich habe großes Verständnis für qualifizierte Bewerber, die sagen, unter diesen Voraussetzungen tue ich mir das nicht an.

Eine Situation wie die jetzige kann sich SOS ORF nicht gewünscht haben.

Nein. Natürlich wäre es besser, wenn es eine Vielzahl von fähigen Kandidaten gäbe und der Bestellvorgang ein offener Entscheidungsprozess wäre, der nicht von vornherein auslotbar ist. Es ist immer schlecht, wenn nur ein Kandidat mit realistischen Chancen zur Wahl steht.

SOS ORF könnte doch genau darauf hinwirken, dass der politische Zugriff auf den ORF weniger wird.

Da sehe ich gegenwärtig keine realistische Chance, etwas zu ändern. Das wäre eine ehrbare, aber letztlich wirkungslose Tätigkeit. Während damals die drei Ziele von SOS ORF – nämlich der Qualitätsanspruch während der Primetime, die Offenheit der GD-Wahl und die Entpolitisierung der Information – realistisch waren.

Wurden die drei Grundziele erreicht?

Nein. Ich sage nur, es waren damals realistisch zu formulierende Ziele, von denen etwa die Entpolitisierung der Information ganz gut gelungen ist. Die Gewissheit, dass Frau Lindner neue Generaldirektorin wird, wurde Lügen gestraft. Und über die Qualität von ORF eins kann man lange diskutieren.

Stichwort Entpolitisierung der Information. Man hört sehr wohl, dass die SPÖ bei der ORF-Information interveniert.

Da muss man zwei Dinge unterscheiden: Die Avancen der Politik wird es immer geben, weil der ORF das zentrale Medium für die Politik ist. Etwas anderes ist, in welchem Umfang die einzelnen Redaktionsmitglieder im betrieblichen Alltag angehalten werden, diesen Interventionen nachzukommen. Der Tatsache, dass die Klagen seitens der ORF-Mitarbeiter weniger geworden sind, entnehme ich, dass die Situation definitiv besser geworden ist.

Es gibt aber Stimmen, die meinen, das liege daran, weil die Mitarbeiter in der Information der Kanzlerpartei gegenüber generell nicht sehr kritisch eingestellt sind.

Das will ich nicht beurteilen. Ich bin gegenüber den Punzierungen einzelner Leute skeptisch, so wie ich nicht von vornherein annehme, dass einem ÖVP-Richter jede Fähigkeit zur Unabhängigkeit fehlt. Ich glaube schon, dass Leute mit entsprechenden Maßstäben an professionelles Arbeiten ganz gut differenzieren können.

Was halten Sie von Wrabetz' Konzept für eine zweite Amtszeit?

Besser als befürchtet, schlechter als erhofft. Es gibt eine Vielzahl von ganz zutreffenden Bekundungen, die aber so offen gehalten sind, dass man erst in der Realität sehen wird, was daraus wird.

Haben Sie eine Idee, wie man den ORF entpolitisieren könnte?

Das ist die falsche Fragestellung. Ich will keinen entpolitisierten ORF, weil das eine Chimäre wäre. Es wird bei einem Unternehmen dieser Größe nicht zu einer tatsächlichen Entpolitisierung kommen. Möglich ist nur eine Stärkung der Unabhängigkeit der Mitarbeiter. Und es bedarf einer Reformierung des Stiftungsrates. Er müsste auf einen Aufsichtsrat nach aktienrechtlichem Muster verkleinert werden. Da kommt es auch zu parteipolitischen Besetzungen, das halte ich aber nicht per se für ein Übel. Aber es soll ein Aufsichtsgremium sein, das tatsächliche Kontrolle ausüben kann.

Zur Person

Alfred J. Noll, geb. 1960 in Wien. Der Anwalt und Autor ist Generalsekretär der Film Austria und Mitinitiator der 2006 gegründeten Plattform SOS ORF, die sich um Programmqualität und Unabhängigkeit des ORF sorgte und von 70.000 Menschen unterstützt wurde. [Elke Mayr/Picturedesk.com]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 6. August 2011)

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