"Halali": In München steht ein Irrenhaus

Halali Muenchen steht Irrenhaus
Halali Muenchen steht Irrenhaus(c) EPA (MATTHIAS SCHRADER)
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Im Münchener Cuvilliés-Theater wurde Albert Ostermaiers "Halali" von Stephan Rottkamp uraufgeführt. Die Abrechnung mit dem 1988 verstorbenen CSU-Politiker Franz Josef Strauß misslang.

Ein Zipfelchen des edlen blauen Vorhangs des prächtigen Münchener Cuvilliés-Theaters hebt sich, vorsichtig tritt auf allen Vieren ein kleiner Hirsch hervor. Besser gesagt ein Mann mit Hirschgeweih und einer durchsichtigen, blutbesudelten Schlächterschürze. Drei weitere Hirschmenschen folgen, blicken blöd umher und stimmen das Lob des Ausweidens an. „Alles Wild wird aufgebrochen“, sagen sie und zählen detailliert auf, wo man wie hineinsticht oder schneidet, was mit der Drossel zu tun sei, mit den Brunftkugeln. Sie rufen zur Jagd, und das sind die lustigsten zehn Minuten von zwei Stunden „Halali. Ein Mann in seinem Widerspruch“.

Das Stück, das der Dramatiker Albert Ostermaier für die Eröffnungswoche von Martin Kušej als Direktor des Bayerischen Staatsschauspiels geschrieben und Stephan Rottkamp inszeniert hat, wollte einfach nicht aufgehen. Einfach verbockt.

Vor dieser Uraufführung am Freitag hatte bereits der Hausherr selbst im Residenztheater Regie geführt – seine schwermütige Version von Schnitzlers „Das weite Land“ wurde vom Publikum äußerst wohlwollend aufgenommen. Nun folgte die Farce, und bei der war der Applaus schwach. Das ist einzusehen, denn nach dem Auftritt des Hirschrudels gab es zwar haufenweise anspielungsreichen Text über den 1988 verstorbenen Landesvater Franz Josef Strauß und seinen Klan, aber das Gebotene war weder besonders bissig noch lustig, sondern bei aller Masse der Vorwürfe brav.

Das ist wohl das Schlimmste, was man einer barocken Figur wie dem Paten der CSU antun kann. Keine Buhrufe, kein Türenschlagen. Diese Farce ist fast so tot wie das berühmte politische Urvieh, das 27 Jahre lang, bis zu seinem Tod, Vorsitzender der CSU war, als Kanzlerkandidat kläglich scheiterte, schließlich wie ein riesiger Schatten über Land und Familie lag. Alsdann: Der blaue Vorhang hebt sich, und das Publikum des Cuvilliés-Theaters ist mit einem billigen aber exakten Nachbau des Rokoko-Zuschauerraums konfrontiert (Bühnenbild: Robert Schweer). In der Prunkloge, wo einst wohl der Kini saß, spielt die Blasmusik. Neben dem Hirschquartett ist diese Combo von „Monaco Hansi & the Original Royal Bavarian Deep Beat Heart Rock Orchestra“ das Erfreulichste. Schräge Blasmusik mit Melodien aus Krimis, falsche Oktoberfest-Gemütlichkeit. Wir befinden uns in einer Nervenheilanstalt, die von Chefärztin Elektra (Sibylle Canonica) geleitet wird. Ihr steht der Exklinikchef Tirow (René Dumont) zur Seite. Man kümmert sich um einen neuen Patienten: Filius, genannt Max (Oliver Nägele), der beleibte Sohn von FJS im Trachtenanzug, der vor einem Korruptionsskandal in die Depression und die scheinbare Sicherheit der Klinik geflüchtet ist. Vor der Welt gerettet?

Was für eine Täuschung! Ganz Bayern, nicht nur die Cuvilliés-Klink, ist hier ein Irrenhaus. Max trifft auf Plisch (Jörg Ratjen), und dieser Patient bildet sich noch im Jahre 2011 ein, der verstorbene Landesvater zu sein. Er rechnet mit seinem Tod am 3. Oktober, also um exakt 23 Jahre zu spät. Ratjen hat die typischen Brillen des alten FJS an, er imitiert ihn auch passabel. Vor allem aber hat er die Kraft, seine Version eines populistischen Politikers darzubieten. Sein Charisma hat er nicht. Noch etwas fehlt. Ist es die zeitliche Distanz? Ist es das regionale Kolorit? Emotion will in diesen Kleinkunst-Episoden (zumindest bei einem Nicht-Bayern) kaum aufkommen.

Die „Spiegel“-Affäre, der Milliardenkredit für die DDR, das Heranschmeißen an Diktatoren wie Chiles Pinochet, Geschäfte mit Selfmade-Millionären wie dem Hendl-Jahn, dem Bäder-Zwick, dem Wurst-Merz und andere ungustiöse Sachen werden anklagend aufgezählt. Aber braucht es für die Wirksamkeit solcher Satire nicht auch Aktualität? Man erfährt, dass Strauß Helmut Kohl gehasst hat – der wurde Kanzler, nicht er. Ist das nicht Geschichte? So aber bemühen sich acht Schauspieler um längst Entwöhntes. Die Patienten (Alfred Kleinheinz, Franz Pätzold, Michele Cuciuffo, Wolfram Rupperti) sind damit beschäftigt, bayerische Wappenmotive auf die Theater-attrappe zu malen oder Hendl-Kostüme umzuschnallen, sie schreddern weißblaue Dokumente, trinken Bier, essen Weißwurst. Das alles ist ganz apart anzusehen, doch rasch verpufft die Wirkung dieses Rahmenprogramms.

Viel wirksamer ist es, wenn Ratjen, der oft in der Mitte brütend sitzt, sich erhebt, um mit Canonica ein intensives Intermezzo zu zelebrieren. Sie spielen – aus therapeutischen Gründen – eine Szene aus Shakespeares „Richard III“. Aus dem eingebildeten FJS wird der verkrüppelte Machtmensch, der eben einen Konkurrenten aus dem Weg geräumt hat, um dessen Witwe zu verführen. Abgründig spielt das Canonica/Elektra, mindestens so intensiv wie vor einer Woche in einem „Tatort“-Krimi eine durchgedrehte Tierärztin. Neben diesen beiden Darstellern ist Nägele authentisch ein Sohn, der an der Übermacht des Vaters scheiterte.

Abendfüllend ist dieses bayerische Sittenbild nicht. Zum Schluss setzt die Regie sichtbar auf Überzeichnung. Der falsche Landesvater stirbt (der echte erlitt vor einem Jagdausflug mit Fürst von Thurn und Taxis einen Herzanfall). Die Höflinge im Irrenhaus bringen einen Hermelinmantel in den Landesfarben, samt Zepter und Krone. Die Kulissen des falschen Theaters heben sich, dahinter erscheint ein Bergpanorama mit Münchens Frauenkirche. Darüber lacht das Gesicht von FJS als Sonne. Nutzt alles nichts. Am Ende wird er zugedeckt. Da ist er längst schon ausgeweidet.

SteckbriefE

Franz Josef Strauß
(1915–1988), Metzgersohn, bayerischer Landesvater, von 1961 bis zu seinem Tod CSU-Vorsitzender, mehrfacher Bundesminister, u.a. für Verteidigung und Finanzen, und langjähriger bayerischer Ministerpräsident.

Albert Ostermaier
(geb. 1967 in München), Schriftsteller, Lyriker, Dramatiker. Dramen: „Radio Noir“ (1998), „Making of O.B.“ (1998), „Auf Sand (2003), „Nach den Klippen“ (2005). Hausautor am Bayerischen Staatsschauspiel (1999/2000) und am Burgtheater (2003–2009). Jüngste Prosa-veröffentlichung: „Schwarze Sonne scheine“ (2011, Suhrkamp).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.10.2011)

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