Theater: Große und kleine Kisten für Nora

Theater Grosse kleine Kisten
Theater Grosse kleine Kisten(c) Schauspielhaus Graz (Lupi Spuma)
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Ein flottes "Puppenhaus" im Schauspielhaus Graz, stärker an Henrik Ibsens Text orientiertes "Puppenheim" im Wiener Volkstheater in den Bezirken. Die von Annette Isabella Holzmann gespielte Nora will hoch hinaus.

Divergente Interpretationen von Ibsens „Nora“ sind derzeit in Österreich zu sehen: Frech und flott hat der polnische Regisseur Wojtek Klemm seinen Abend im Schauspielhaus Graz angelegt, braver, aber mit größerer Fallhöhe die Schweizerin Babett Arens im Volkstheater in den Bezirken in Wien. In beiden Versionen ist zu spüren, dass dieses Stück nur an der Oberfläche gestrig scheint. Sie hat noch immer Kraft, diese Tragödie einer jungen Frau, die um ihr Recht kämpft und auf „das Wunderbare“ hofft. Einst hat Nora eine Unterschriftenfälschung begangen, aus Liebe zu ihrem Mann. Dieses Unrecht holt sie nun ein, sie will es gemeinsam mit dem Gatten bewältigen. Er lässt ihr keine Chance.

In Graz sieht man eine resolute Nora, die von Anfang an weiß, in welchen Konventionen sie gefangen ist. Evi Kehrstephan schiebt stöhnend ein zimmergroßes Geschenkpaket an die Rampe. Schließlich liegen vier überdimensionierte Schachteln herum, die den Konsumwahn ebenso repräsentieren wie die schrillen Kostüme (Julia Kornacka): Was für ein Maskenball! Nora als Schaf, ihr Mann als Superheld, die Freundin als Biene. In den Konsumkisten kann man verschwinden, Leute verschwinden lassen oder auch am Ende Kinder zertrampeln.

Die Pakete sind herbeigeschafft, da beginnt Nora bereits, Regieanweisungen vorzutragen, sie spuckt voller Verachtung aus, dass die Gattin des frischgebackenen Bankdirektors mit ihm samt drei herzigen Kindern „gemütlich und geschmackvoll“ lebt. Dieser Nora macht man nichts vor. Sie braucht Geld? In einem seltsamen erotischen Spiel zieht sie es mit dem Mund aus dem Mund des Gatten. Sie spielt aber nur das Vögelchen, dem dieser Helmer (Simon Zagermann) infantiles Balzen mit Tierlauten abverlangt. Wenn sie ihn anfaucht wie eine wilde Katze, ist dieser Hausherr das Lercherl, er mag ihr noch so roh die Zigarette aus der Hand schnippen in seinem Kontrollwahn. Er ist ein armes Männchen, wenn er schließlich aus Angst über den möglichen Skandal die Gattin wüst beschimpft, im Stich lässt, dadurch verliert.

Kehrstephan ist stark in dieser gebrochenen Paraphrase auf Ibsen samt Einschüben von Heiner Müller, vielleicht auch von Marx und Mann. Neben ihr brilliert Gerhard Liebmann als Erpresser Krogstad, seine aus Verzweiflung rührenden Attacken sind herrlich verrückt. Charaktervoll sind auch die übrigen Rollen besetzt, mit Claudius Körber als todkrankem Doktor Rank und Verena Lercher als zurückhaltender Freundin Kristine Linde. Klemms „Nora“ wirkt manchmal etwas überdreht, aber sie macht bei aller bösartigen Kritik an der Gesellschaft Sinn.

Schachteln gibt es auch im Volkstheater in den Bezirken zu sehen, allerdings kleinere. Hier ist ein Umzug in eine größere Wohnung im Gange. Diese von Annette Isabella Holzmann gespielte Nora will hoch hinaus. Sie kommt soeben vom Kaufrausch für Weihnachten zurück, legt sich eine Platte von Abba auf: „I Do, I Do, I Do“, später dann „Money, Money, Money“. Bei Arens muss sie anfangs eine ganz Naive sein, die glaubt, dass Shopping happy macht. Sie braucht Geld? Sie muss darum betteln. Man möchte ob ihrer Naivität erst sogar für Helmer Partei ergreifen, der von Till Firit ausgezeichnet verkörpert wird als Mann voll Unsicherheit hinter gespielter Dominanz. Diese Ängste vor dem Absturz setzen auch Tim Breyvogel (Rank), Katrin Grumeth (Linde) und Tobias Voigt (Krogstad) um, jeder in seiner eigenen, differenzierten Art.

Am schwersten hat es aber in dieser Inszenierung die Hauptdarstellerin. Ihr wird eine ungeheure Fallhöhe zugemutet, wie in der Anfangszeit der Suffragetten. Von der anspruchsvollen Puppe muss sie sich über die manipulierte Ehefrau zu jener Nora entwickeln, die in einer einzigen enthüllenden Szene, in der Konfrontation mit dem Monster Mann, zur konsequenten Heldin wird. Das Finale, in dem eine intelligente Frau erkennt, wie ihr Vater das Töchterchen um ihren freien Willen, wie ihr Mann sie dann um ihre Chancen zur freien Entwicklung gebracht hat, passt besser zu Holzmann als die Kindfrau in den ersten beiden Akten. Und das kann doch nur im Sinne Ibsens sein.

„Nora“, ein Erfolgsstück

„Ein Puppenheim“ wurde von Ibsen 1879 in Amalfi vollendet, am 21. 12. am Königlichen Theater in Kopenhagen uraufgeführt.

Nächste Termine: Schauspielhaus Graz am 1., 2., 7. März. Volkstheater in den Bezirken: 20. Februar (Praterstern 1), 22. bis 24. Februar (Theater Akzent), jeweils 19.30 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.02.2012)

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