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Udo Lindenberg: Auf der Suche nach dem Gin des Lebens

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Der Urvater des deutschsprachigen Rock ist wieder da. Mit der „Presse“ sprach der Mann, mit dem man nicht per Sie sein kann, über Hesse, Jazz, Likör – und seine Freunde Gerhard Schröder und Eric Burdon.

Die Presse: Wie beurteilst du deine Exzesse und Abstürze retrospektiv? Bist du vielleicht auf Rock'n'Roll-Klischees reingefallen?

Udo Lindenberg: Nein. Ich bin ein Wiwi, ein Wirkstoff-Wissenschaftler, der das nasse Gold hebt, wie es in einem meiner neuen Songs heißt. Der geht über die Grenzen, dahin, wo normale Leute sich nicht hintrauen. Natürlich bin ich auch heftig abgestürzt. Dann lag ich auf der Bodenstation am Tropf. Schnell durchspülen, weil ich musste ja weiter. Drei Tage liegen, dann wieder „Woddy Woddy Wodka“ (Anm.: ein Songtitel).

Heute berät dich Nena bei der Trennkost. Ist das ein Zeichen von Rocker-Reife?

Lindenberg: Ich halte mich gut schnell, da lege ich Wert drauf. Früher, mit 15, wollte ich gar nicht alt werden. Da war ich noch so'n richtiges Greenhorn mit Stolper, Stolper und äh, äh. Das war unpraktisch bei den Weibern. Aber das ist längst passé. Jetzt bin ich mehr ein Durchchecker, ein Chubby Checker, vom Radikalen zum Meisterhaften.

Apropos „Chubby Checker“. Das gleichnamige Stück hast du mit Helge Schneider gemacht. Wie ist das so bei euren Treffen?

Lindenberg: Wir sind dann beide fest am Texten. Helge und ich sind ja aus der Wundertütenabteilung und blubbern uns gegenseitig platt. Helge kann aber auch ganz leise tönen. Unsere Treffen sind stets intim. Wenn wir in unsere Raumkapsel abtauchen, werden die Telefone ausgeschaltet.

Vor einiger Zeit hast du eine Hermann-Hesse-Anthologie herausgebracht. Viele lesen Hesse in ihrer Jugend und verwerfen ihn dann. Wieso hält er sich bei dir so lange?

Lindenberg: Wie „Josefine Mutzenbacher“ war Hesse für mich zunächst Jugendliteratur. Der hat einiges an Weltsicht in mich hineininspiriert. Toleranz, Sensibilität, Respekt vor dem heiligen Individuum und so was. Dann hab ich ihn aus den Augen verloren, aber nicht aus der Seele. Vor zwei Jahren folgte die große Wiederentdeckung bei einem Hesse-Festival in Calw. Da kam's mir wieder, dass Lieder wie „Born to Be Wild“ auf seine Inspiration entstanden sind. Also pilgerte ich nach Montagnola, in Hugo Balls Dadaistenklub in Zürich. Hesse ist ein Bruder im Geiste. Ich fühle mich wie Harry Haller aus „Steppenwolf“. Der hat alle Exzesse studiert.

Wie wohl auch Eric Burdon. Wie entstand denn eure Freundschaft?

Lindenberg: Durch ein schlichtes Telefonat. Horst Königstein und ich produzierten eine Rock-Revue. Der Animals-Song „Gotta Get Out Of This Place“ hat einen Provinzler wie mich ja stark beeindruckt. Also gleich ran an die Strippe: „Hallo Eric, this is Udo!“ Und schon war er eingeladen. Wir haben dann viel gemeinsam gesungen. Eric is'n Großer.

Anfangs warst du Jazz-Schlagzeuger. Stimmt es, dass du sogar mit Dexter Gordon spieltest?

Lindenberg: Ja, auch mit Slide Hampton. Ich hab aber auch Rock-Jazz getrommelt mit Klaus Doldinger. „Bitches Brew“ von Miles Davis und Billy Cobhams Getrommel haben mich sehr beeindruckt, auch Art Blakey und Elvin Jones. Nebenbei hab ich statt eines Tagebuches Texte geschrieben. Lange rätselte ich, wer die denn singen könnte. Dann traute ich mich eines Tages selbst.

Auf deinem neuen Album spielst du viel mit der musikalischen Jugend Deutschlands. Wie hast du den Rapper Jan Delay kennengelernt?

Lindenberg: In der Hamburger Szene, wo ich in den Klubs getarnt unterwegs bin. Er sagte mir mal: „Hey, Udo, du warst das Alete meiner Kindheit, dich hab ich schon im Fläschchen mitbekommen. Du hast mich ermutigt, deutsch zu rappen.“ Geht ja alles auch auf Deutsch, auf Easy-Deutsch. Man muss bloß die Worte kneten, jonglieren, schleudern. Unser erstes gemeinsames Stück war „Im Arsch“. Wir haben den Nasensound. Wir sind Kumpels. Jan ist auch kritisch. Dann mosert er wegen einer „Porno-Orgel“ oder sagt: „Das ist Old School, das brauchst du nicht.“

Deine Freundschaften mit Eric Burdon und Jan Delay sind für die Fans ja nachvollziehbar. Aber Gerhard Schröder ist dann doch ziemlich ungroovy, oder nicht?

Lindenberg: Eine Freundschaft musst du leben. Mit dem Gerhard komme ich im Moment nicht dazu. Er ist oft in Russland. Wichtig ist, dass er Deutschland aus dem Irak-Krieg rausgehalten hat. Ansonsten ist er den Künsten zugetan und hat brav meine Bilderausstellungen besucht.

Apropos Malerei. Wie entstand das von dir ins Leben gerufene Pinselgenre „Likörell“?

Lindenberg: Da saß ich mal am Tresen, es fielen ein paar Flaschen um und all die farbigen Säfte flossen durcheinander. Das war ein Hinweis aus einer anderen Sphäre. Seither male ich mit Likör.

„Was hat die Zeit aus uns gemacht?“ heißt einer deiner neuen Songs. Wie siehst du die gesellschaftlichen Veränderungen seit 1968?

Lindenberg: Heute ist alles so anonym. Nur mehr malochen und vor der Glotze hängen. Es gibt keine Kultur des Protests mehr. Heute erinnern Events wie das Donauinsel-Fest, wo ich vor ein paar Jahren spielte, noch daran. Das war schön. Es gab da noch ein bisschen Love&Peace-Nostalgie. Ich vermisse das, denke aber, dass das wiederkommt.

Du hast einst Erich Honecker eine Lederjacke geschenkt. Die hat er dann an die Jugendorganisation der SED weitergegeben. Was würdest du Angela Merkel schenken, was sie nicht an die Jugend weitergeben könnte?

Lindenberg: Ein schwarz-rot-goldenes Mieder. Nichts steht ihr besser.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.04.2008)

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