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Lieder über Licht und Leichen

Cover Ausschnitt
Cover Ausschnitt(c) modelldoo.com
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Das gut erhaltene New-Wave-Duo Modell Doo widmet das feine Album „Orbit Utopia“ dem Andenken von zwölf seltsamen Forschern. Zehn davon haben tatsächlich gelebt.

In Australien nennt man sie „angel of black death“: Die deutsche Naturforscherin Amalie Dietrich (1821–1891) sammelte in Australien nicht nur Pflanzen und Insekten, sie sandte auch Skelette und Schädel von Aborigines nach Deutschland – und wird bis heute verdächtigt, dass diese keines natürlichen Todes gestorben seien.

Dietrich ist unter den zwölf Forschern, denen das Wiener Duo Modell Doo auf dem Album „Orbit Utopia“ je einen Song widmet. Sie alle sind – Schande! – der „Presse“-Wissenschaftsredaktion nicht geläufig, sie alle haben etwas Geheimnisvolles um sich: Stefan Grissemann (im Brotberuf „Profil“-Kulturchef) und Markus Moser sind von der Idee besessen, dass Wissenschaftler die Welt nicht nur rational ergründen, sondern oft geradezu parareligiösen Obsessionen folgen: „I'm one of the saints, collecting human remains“, singt Grissemann zu hastigen, stolpernden, beinahe strauchelnden Rhythmen in „Dietrich“. Er sei „in love with the deceased“, bekennt in einem anderen Song der französische Anatom Honoré Fragonard (1732–1799), ein Vorläufer des bizarren Leichenpräparierers Gunther von Hagens.

Auch dem Erfinder Louis Le Prince (1841–1890) gilt ein Song: Er entwickelte die erste Filmkamera. Sein Ende ist mysteriös: Er bestieg einen Zug nach Paris, kam aber dort nie an. Als wollten sie ihn in Zeit und Raum fixieren, nennen Modell Doo in „Le Prince“ Daten und Orte, die Schlusszeilen lauten: „We got five years to the Grand Café to change it all.“ Im Grand Café sollten die Brüder Lumière 1895 ihren Cinématographen präsentieren, fünf Jahre nach dem Tod von Le Prince. Es ist aber durchaus denkbar, dass Modell Doo bei ihrer Zeile auch David Bowies apokalyptisches „Five Years“ im Kopf hatten...

Verliebt ins Schwarze Loch

Denn die beiden sind Mythomanen, das macht einen Reiz dieses Albums aus, das musikalisch in den elektrischen Achtzigern wurzelt, also altmodisch und hochmodern zugleich klingt. Sagen wir: relativistisch zeitlos. „Far away, yet the light touches my eye“, heißt es im himmlisch gehauchten Lied für die Astronomin Maria Cunitz (1610–1664), nach der ein Krater auf der Venus benannt ist. Zwei der Songs haben keine Texte: Ihre Helden sind Wissenschaftler, die nicht gelebt haben, literarische Fiktionen: der Frauenmörder Konrad aus Thomas Bernhards „Kalkwerk“, die Physikerin Alice Coombs aus Jonathan Lethems Roman „As She Climbed Across The Table“. Sie verliebt sich in ein Schwarzes Loch namens Leck, verschwindet schließlich.

Ebenso seltsam war der russische Insektenforscher Viktor Grebennikov (1927–2001): Er baute eine Plattform, die kraft toter Insekten Levitation erlauben sollte, und berichtete über seine Erlebnisse. Ob er wirklich daran glaubte? Modell Doo glauben es ihm: „Am I dreaming? Is this Science-fiction?“, lassen sie ihn in seinem Song fragen. So verschwimmen Traum und Wahrheit, Kunst und Wissen, und Modell Doo haben ihre luziferische Freude daran. Merkwürdig. Gut.

Modell Doo treten am 4.10., um 20 Uhr beim „Waves“-Festival in der Alten Post (Wien 1, Dominikanerbastei 11) auf.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.10.2014)

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