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Coldplay: Die britischen Hymniker schmachten wieder

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Coldplay tändeln auf ihrem siebten Album, „A Head Full Of Dreams“, fröhlichen Herzens mit Kitsch und Krach.

Das siebte Album ist eine Möglichkeit, besonders zu glänzen“, sagt Sänger Chris Martin und verweist mutig auf Kollegen wie Bob Dylan, Madonna, U2 und Bruce Springsteen, die in seinen Augen mit dem siebten ihr jeweiliges Meisterstück abgeliefert haben. Das taten Coldplay (leider) schon mit ihrem Debütalbum im Jahr 2000. Seither ist nichts Besseres nachgekommen. Wohlig warm flossen damals die trägen Melodien ins Ohr. Das von reschen Gitarrenklängen durchzogene, melancholische „Yellow“ war so etwas wie die Blaupause all der nachfolgenden, stets unvermittelt zwischen Minderwertigkeitskomplex und Größenwahn pendelnden Coldplay-Hymnen.

Rasch war die kleine Band auf Stadionformat aufgepumpt, was bedeutete, dass sie ihren Status als Großbritanniens U2 einfach mit der Variation des ewig Gleichen absichern musste. Das ging so lange gut, wie die glamouröse Ehe von Chris Martin mit Hollywood-Schauspielerin Gwyneth Paltrow hielt. Im März 2014 wurde die Trennung des „worlds sexiest vegetarian“ (so die Tierrechtsorganisation PETA) von der Hollywood-Queen bekannt gegeben. Es würde ein „conscious uncoupling“ stattfinden, eine politisch korrekte Trennung. Dieses technische Wording passte gut zur Vorstellung, die viele vom neurotischen Leben dieses Paares hatten, das ja vielleicht doch noch von Woody Allen verfilmt wird.

Selbstverliebt suhlte sich Martin auf „Ghost Stories“, dem ersten Album nach der Trennung, in delikater Zerknirschung. Jetzt, nur eineinhalb Jahre später, folgt die emotionale Kehrtwendung mit dem redlich jubilierenden Songzyklus „A Head Full Of Dreams“. Der hat seine guten Momente, quält aber auch mit recht belanglosen Passagen. Ein Meisterwerk à la „Blonde On Blonde“ oder „Ray Of Light“ ist das siebte Opus der habituellen Hymniker jedenfalls keines.

Mit der euphorischen Single „Adventure Of A Lifetime“ glückte aber etwas Besonderes. Er möge ihm doch um Gottes willen ein Riff schreiben, das er mag wie „Sweet Child O Mine“ von Guns N' Roses, bat Martin seinen Leadgitarristen, Jonny Buckland. Die gleißenden Motive, die er ersann, leisteten gute Dienste bei der neuerlichen Ich-Werdung des von der Liebe verheerten Sängers. Im famosen Discoschnalzer heult er sein Triumphgefühl darüber mit hellster Stimme heraus: „Oh, you make me feel, like I'm alive again.“ Schön, wie mühelos der Zauber des Banalen hier in einem Ohrwurm der Sonderklasse mündet.

Den Zug zum eskapistischen Dancefloor hat auch „Hymn For The Weekend“. Bereits im Intro zwitschern Vöglein, trällern junge Mädchen. Dann schwebt ein dunkler Engel in Gestalt der R&B-Sängerin Beyoncé Knowles hernieder und hilft den Briten bei der Orientierung in der Disco. Die tun ein wenig mit, retten sich aber bald in tranige Balladen wie „Everglow“ und „Fun“, wo Martin gekonnt seine eigentlich waffenscheinpflichtige Falsettstimme einsetzt, um nichts als schmachtende Glut abzustrahlen.

Sufi-Mystiker als spirituelles Vorbild

„Kaleidoscope“, eines von zwei instrumentalen Interludien, schmücken Coldplay mit Zitaten aus „Das Gasthaus“ von Rumi. Dieser im Jahre 1207 geborene altpersische Dichter und Sufi-Mystiker gehört, wie der Dalai-Lama, längst zum geistigen Hausstand der um „Spiritualität“ ringenden obersten Kaste des Showgeschäfts. „The dark thought, the shame, the malice, meet them at the door laughing“: Treuherzig will Martin das fortan praktizieren, schließlich soll das freudvolle Annehmen von negativen Gefühlen ein Geschenk numinoser Kräfte sein, das zwangsläufig auf neues Terrain führt. Wenn Coldplay derlei Erkenntnisse über den Wert des Maliziösen in Hinkunft auch musikalisch nützen könnten, wäre viel erreicht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.12.2015)

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