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Leonard Cohen: Letzte Lieder eines Suchenden

„I'm ready my lord“, röchelt Leonard Cohen auf seinem letzten Album. Mit sich selbst scheint er im Reinen zu sein.
„I'm ready my lord“, röchelt Leonard Cohen auf seinem letzten Album. Mit sich selbst scheint er im Reinen zu sein.(c) Sony Music
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Der Romancier, Lyriker, Sänger Leonard Cohen veröffentlicht mit 82 Jahren das tief melancholische Album „You Want It Darker“. Es ist das Finale einer unwahrscheinlichen Karriere.

Die Stimmung, die der Opener vorgibt, ist jenseitig wie nichts zuvor im Œuvre des geliebten Melancholikers. Die eigentlich unheimlichen Melodien des Shaar Hashomayim Synagogue Choir klingen geradezu tröstlich im Kontrast zu Leonard Cohens grimmigen Sentenzen: „If you are the dealer, I'm out of the game, if you are the healer, it means I'm broken and lame.“ Tatsächlich war die Produktion von „You Want It Darker“, dem erst 14. Album in 49 Jahren, an der Grenze zum Abbruch.

Sowohl beim 82-jährigen Cohen als auch bei seinem langjährigen Freund und Produzenten, dem 60-jährigen Pat Leonard, traten heftige Rückenprobleme auf. Cohen wurde ein Spezialsessel verordnet. Die Agenden von Leonard übernahm Cohens Sohn, Adam, der ebenfalls erfolgreicher Musiker ist. Zunächst wollte er seinen Vater dazu überreden, ein Album aufzunehmen, das möglichst dem Klassiker „New Skin for the Old Ceremony“ von 1974 ähnelt. Das stieß auf wenig Begeisterung. So beschränkte er sich darauf, die heikle Balance zwischen archaischer Melodik und modernistischen Soundelementen abzusichern.


Loslassen von allem Irdischen. Anklänge an frühere Phasen von Cohens Karriere gibt es, Nostalgie aber nie. Statt sich an der glorreichen Vergangenheit zu berauschen, hat sich Cohen ein ganz besonderes Reizmittel erhalten: eine heftige Bangigkeit bezüglich des eigenen Todes. Dieses Sujet hat er auf der 2012 erschienen Liedersammlung „Old Ideas“ noch mit reichlich Sarkasmus bedacht. Damals ersann er im Song „Going Home“ einen heiteren Dialog mit Gott, in dem er sich als „lazy bastard, living in a suit“ bezeichnete. Das aktuelle Eröffnungslied von „You Want It Darker“ ist da ungleich düsterer: „A million candles burning for the love that never came, you want it darker, we kill the flame“, ätzt der einstige Frauenheld. Dann zwängt sich die klagende Stimme von Cantor Gideon Zelermyer in den Vordergrund: „Hineni, Hineni“. Das heißt „Hier bin ich“. Abraham soll diese Worte gesagt haben, als ihm Gott befahl, seinen Sohn Isaac zu opfern.

In Cohens Fall geht es ums Loslassen von allem Irdischen. Er scheint bereit, die Nachteile des Geborenseins hinter sich zu lassen. „I'm ready my lord“, röchelt er mit Grabesstimme. Frühere Tröstungen von Sex bis Alkohol haben ihren Reiz verloren – so betörend Frauenstimmen samt Bouzoukiklängen in „Traveling Light“ auch in eine griechische Taverne locken. „I'm traveling light, it's au revoir, my once so bright, my fallen star.“ Dann wird's noch bitterer: „I guess I'm just somebody who has given up on the me and you.“ All die Träume von der Liebe sind verflogen. Dabei war Cohens Interesse an den Damen sehr früh groß. Mit 13 las er ein Buch über Hypnose. Die frisch erworbenen Kenntnisse wandte er gleich am Hausmädchen an. Er zog die willenlos Gewordene kurzerhand aus.

Mit den Jahren wurden seine Flirts subtiler. Die Glut in seinen Augen, sein zärtlicher Umgang mit Worten – ein gewisser Typus Frauen wurde verlässlich schwach beim kanadisch-jüdischen Dichter, der 1960 in London in eisigen Zimmern saß und tief melancholische Verse ersann. Selbst der Zurückweisung so mancher Angebeteter rang er gute Verse ab. Velvet-Underground-Sängerin Nico verschmähte ihn kühl. Mit Joni Mitchell klappte die Affäre zwar, aber sie schimpfte ihn bald einen „Boudoirpoeten“. Und Janis Joplin schließlich machte, wie es Cohen in seinem Song „Chelsea Hotel No. 2“ freimütig bekannte, nur eine Ausnahme. „You told me again you preferred handsome men but for me you would make an exception.“


Hauptsache, es wurde geliebt. In der Statistik überwogen bald die geglückten Liebschaften, allein der rastlose Cohen versagte verlässlich. Seine auf der griechischen Insel Hydra ausbrechende Liebe zur Norwegerin Marianne Ihlen versemmelte ihm die anhebende späte Karriere als Popsänger. Als sie heuer im Sommer im Sterben lag, schrieb ihr Cohen einen steinerweichenden, späten Liebesbrief: „Well Marianne it's come to this time when we are really so old and our bodies are falling apart and I think I will follow you very soon. Goodbye old friend. Endless love, see you down the road.“ Mögen auch Cohens Versuche, der Liebe Dauerhaftigkeit zu verleihen, gescheitert sein, vergeblich waren sie nicht. Davon singt er im wehen „If I Didn't Have Your Love“. Leeres Weltall, erloschene Sonnen – egal, Hauptsache, es wurde geliebt, als es möglich war.

Ein ewig Suchender war er auch in seiner Musik. 1967 ging er nach New York und versuchte sich im Alter von 33 Jahren als Folksänger. Obwohl ein Jahr älter, war er blutiger Newcomer, während Elvis längst globaler Superstar war. Er komponierte dennoch wacker Lieder und träumte von einem Publikum. „I was out to reach inner-directed adolescents, lovers in all degrees of anguish, disappointed Platonists, pornography-peepers, hair-handed monks and Popists.“ Die heterogene Schar war rascher da, als er dachte. Und doch schmeckte der Welterfolg auch schal.

Immer wieder vertiefte sich Cohen, Enkel eines Synagogenvorstands, in spirituelle Studien. Dieser Tage hat er offenbar Sehnsucht nach der spirituellen Geborgenheit seiner Kindheit. Die jüdischen Wurzeln hallten zwar ein Leben lang in Cohens Melodien wider, aber was das Spirituelle anlangte, suchte er lang anderswo. Er forschte in den Lehren der römisch-katholischen Kirche genauso wie in jenen des Zen-Buddhismus. Wie viele seiner Generation suchte er Gott in LSD-Trips und Haschischträumen. „I'm for anything that works“, pflegte er in den wilden Sechzigerjahren zu sagen.

Nichts funktionierte auf Dauer. Als er nach sechs Jahren das Zen-Kloster verließ, stellte er fest, dass eine Vertraute sein Vermögen verspekuliert hatte. Zunächst ein wenig widerwillig, bald aber mit viel Liebe, eroberte er sich seine Musik zurück. Von 2008 bis 2013 bereiste er unermüdlich konzertierend die Welt. Bis zu vier Stunden dauerten seine umjubelten Auftritte. Jetzt scheint er am Ende seiner Kräfte zu sein. Nach „You Want It Darker“ ist kein Album mehr geplant. Auch keine Tournee. Sehen kann man ihn zuweilen in einer Synagoge am Venice Boulevard, wo er mit dem Rabbi über kabbalistische Texte diskutiert. Mit sich selbst scheint er im Reinen, wie der Song „On the Level“ nahelegt. Zur opulenten Melodie seiner langjährigen Mitstreiterin Sharon Robinson lässt er noch einmal Humor aufblitzen: „I was fighting with temptation, but I didn't want to win.“ Wie recht er doch all die Jahre hatte.

Steckbrief

1934 wurde Leonard Cohen in eine einflussreiche jüdische Familie geboren.

1956 erschien sein erster Gedichtband, „Let Us Compare Mythologies“, 1963 dann der Roman „The Favourite Game“.

1967 brachte Cohen sein Debütalbum, „Songs of Leonard Cohen“, heraus.

Am 21.10.2016erscheint „You Want It Darker“ bei Sony Music. Der deutsche Technomusiker Paul Kalkbrenner fertigte einen Remix des Titelsongs an.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.10.2016)

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