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Die Lust am Untergang

Robert Smith von The Cure in der Barclaycard Arena Hamburg 17 10 2016 Foto xI xSchifflerx xFuturex
Robert Smith von The Cure in der Barclaycard Arena Hamburg 17 10 2016 Foto xI xSchifflerx xFuturex(c) imago/Future Image (imago stock&people)
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The Cure und ihr charismatischer Sänger Robert Smith zelebrierten Weltmüdigkeit in der ausverkauften Wiener Marx-Halle. Das klang überraschend vital.

Man kann nur darüber spekulieren, was einst in der St. Wilfrid's Catholic School im südenglischen Crawley mit der zarten Seele von Robert Smith passiert sein könnte. Eine Schleuse zur sittlichen Veredelung war dieses Institut wohl nicht, begann doch Smith früh, vom Zerfall zu schwärmen. Zwischen Exzessen und Lebensekel oszillierend entwickelte er rasch eine musikalische Sprache für seine vitale Lust am Untergang.

Zur Freude seiner Fans zieht sich dieser nun schon Jahrzehnte hin. Pro Konzert verbraucht dieser Tutor des Weltschmerzes meist drei Stunden Lebenszeit seiner stets wonnevoll schniefenden Hörer. Gern nehmen die das hin, stehen sie nicht gerade in einer ehemaligen Todeshalle für Fleckvieh. Wenigstens zur Beförderung des Trübsinns war das öde Geviert dienlich. Beinah pünktlich trat Smith kurz nach 21 Uhr vor die Augen seiner obsessiven Gemeinde. Ruhig blickte er sich um. Die versammelten Schwarzgalligen waren offenbar bereit. Und so schlug er mit kühn auftoupiertem Haupthaar die erste Seite seiner Gegenbibel auf.

Sein Duktus war intensiv. Zunächst galt es Wetter und Seelenlage zu synchronisieren: „I think it's dark and it looks like rain. And the wind is blowing like it's the end of the world.“ Majestätisch klingelnde E-Gitarren, raumgreifende Keyboards und Smiths nach wie vor tränenerstickt wirkende Stimme formten das Klangbild. „Plainsong“, ein Lied des famosen achten Cure-Albums „Disintegration“, gab die Route vor: Es ging ab in ein milde loderndes Fegefeuer. Nicht weniger als acht Songs von diesem grandiosen Konzeptalbum des Gothic Rock standen an diesem Abend auf dem Zettel. Platz für unverstellt Romantisches war auch. Etwa das heftig bejubelte „Lovesong“. „Whenever I'm alone with you, you make me feel like I'm young again“, heißt es da. Sang Smith da eine reale Person oder ein Trugbild an? Egal, die Wahrheit des Schönen lebt schließlich von Übertreibungen. Manches mag gelesen monströs, anderes lächerlich wirken – im Zusammenklang mit den magischen Melodien ergibt sich bei The Cure höherer Sinn.

Wie ein Pandababy auf Milchentzug

Die Szenarien, die Smith ausbreitete, waren an diesem Abend durchaus blutvoll. So der Titelsong von „Disintegration“, in dem sich Augen, Mund und Herz des Protagonisten angesichts des „kiss of treachery“ blutrot färbten. Umrahmt von maschinellen Geräuschen dräute hier episches Ungemach, allerdings eines, das für Smith und seine Fans längst zur seelischen Behausung geworden ist. Auf der derzeit laufenden Europatournee gleicht kein Konzert einem anderen. Für jeden Auftritt sucht sich Smith, leidenschaftlicher Verwalter des eigenen Œuvres, beflissen neue Songraritäten, mischt die Hits ständig neu. Der erste Cure-Megahit des Wiener Abends war „The Walk“ mit seinen unsterblichen Zeilen „I saw you look like a Japanese baby, in an instant I remembered everything“ und dem danach einsetzenden Keyboardgefiepse, das klang wie ein Pandababy bei Milchentzug. Die populäre Gegenmelodie, dieses einprägsame „Dü Dü Dü Dü Dü Dü Dü“ ertönte heiser wie nie.

Tröstlich war, dass Smiths Kiekser immer noch von hellster Machart sind. Was für ein Labsal, diesen depressiven Dandy so innig quengeln zu hören. Mit viel Verve geleitete er zur „Edge of the Deep Green Sea“, lotste durch die „Fascination Street“. Die Unannehmbarkeit der Welt verhandelte er in „Sinking“, wo die Keyboards schluchzten, als wären die Achtziger nie zu Ende gegangen. Chevaleresk bot er in „Charlotte Sometimes“ einer verängstigten Dame die schützende Hand an. Ein Gentleman, dieser Robert Smith. Seit 2012 verstärkt durch den auch an diesem Abend starke Akzente setzenden Ex-Bowie-Gitarristen Reeves Gabriel, entwickelten The Cure immer wieder hart peitschende Grooves. So etwa bei „It Can Never Be the Same“, bei dem sich auch Smith in Ekstase sang. Das Tanzbein lockten zudem „The Forest“, „Never Enough“ und das funky „Hot Hot Hot!!!“ So delikat hat er selten geduftet, der Qualm der misslungenen Weltschöpfung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.10.2016)

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