Dhafer Youssef: Von Kalifen und Graswurzeln

Weltspitze im Jazz. Musik ist für Dhafer Youssef ein Lebenselixier, sogar eine Art Religion.
Weltspitze im Jazz. Musik ist für Dhafer Youssef ein Lebenselixier, sogar eine Art Religion.(c) Flavien Prioreau
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Dhafer Youssef, Sänger und Oudspieler, über syrische Dichter, Tellerwaschen und Trump.

Der Diwan ist für den zur Gemütlichkeit neigenden Wiener in erster Linie ein Möbel, auf das man sich fläzt, um sich kurzzeitig vor dem Gewicht der Welt zu retten. Im Arabischen bezeichnet das Wort indes in erster Linie Sammlung und Versammlung. Auch im militärischen Sinn. Die alten Potentaten stellten ihre Armeen auf, um sie leichter auszahlen, aber auch besser kontrollieren zu können. In der anderen Konnotation bedeutet „Diwan“ Werksammlung eines Künstlers oder Dichters. Dhafer Youssef, polyglotter Sänger und Oudspieler, der nicht erst seit seinem neuen Album, „Diwan of Beauty And Odd“, zur Weltspitze des Jazz aufgestiegen ist, hat in Schriften von alten Poeten geblättert.

Als Inspiration für seine Musik fand er zwei syrische Dichter. Al-Halboulsi aus dem 17. Jahrhundert widmet er als Opener „Fly Shadow Fly“, eine lyrische Suite. Der andere, al-Akhlal, dem er eine dreiteilige Rhapsodie zugeeignet hat, stammt aus dem achten Jahrhundert. „Er war ein Christ, der den Wein liebte“, erzählt Youssef. „Der Kalif schätzte ihn sehr, wollte ihn stets dazu überreden, zum Islam zu konvertieren. Al-Akhlal blieb standhaft. Das Kalifat hat ihn nicht bestraft. Es hat ihn akzeptiert. Das, was heute in Syrien passiert, ist der totale Rückschritt.“ In den Achtzigerjahren hat der gebürtige Tunesier Youssef einige Zeit in Damaskus verbracht. „Armenier, Christen und Moslems lebten dort friedlich nebeneinander. Niemand hat nach dem Religionsbekenntnis gefragt. Alle waren sie Syrer. Der Krieg hat das ruiniert. Die Radikalen machen mich krank. Was da passiert ist, beschämt mich einfach nur.“ Als Musiker internationalen Zuschnitts vaziert Youssef über die Kontinente. In New York hat er um die Jahrtausendwende „Electric Sufi“, eines seiner berühmtesten Alben, aufgenommen. „Damals war ich mit dem norwegischen Jazz­gitarristen Eivind Aarset unterwegs. Ich kann mich gut erinnern, dass ich mich danach gesehnt habe, ein eigenes Jazzquartett zu führen.“ Jetzt ist es ihm geglückt. Granden wie der Trompeter Ambrose Akinmusire und der Pianist Aaron Parks spielen mit Youssef. Sogar Schlagzeuger Mark Giuliana, einer aus David Bowies letzter Band, war gern mit von der Partie.

Friedvoll. Die von Youssef vorgegebenen Soundscapes sind allesamt von friedvoller, verträumter Anmutung. Die Musiker fanden sich rasch in die orientalischen Texturen hinein, zumal das Konzept auch das Hässliche, das Schräge umarmt. „Mein Konzept war einfach, aus dem Kontrast von Schön und Unschön etwas herauszudestillieren, das Ausstrahlung hat. Auch ungerade Rhythmen können eine schöne Atmosphäre, anmutige Melodien hervorbringen. Für mich definiert sich Schönheit über Hässlichkeit. Erst die Erfahrung des Hässlichen macht das Schöne wertvoll.“

Youssefs oft wortloser Gesang ist von zeitloser Melancholie. Einem Ort lässt sie sich nicht zuweisen. Auf „Diwan of Beauty And Odd“ gehen Jazz und Weltmusik eine geradezu ideale Fusion ein. Abgesehen von den Sternstunden, die er beim Aufnehmen seiner neuen Musik hatte, wie fand er New York nach so vielen Jahren? „Ich liebe diese Stadt, weil ich mich in ihr ganz klein fühlen, ja sogar unsichtbar werden kann.“ Wird die isolationistische Politik Donald Trumps dieser Metropole, die Frank Sinatra einmal als Hauptstadt der Welt bezeichnet hat, etwas anhaben können? „Ich denke nicht. Die Menschen werden gerade durch die unorthodoxen Schritte Trumps politisiert. Es wird eine Graswurzelrevolution geben. Am Ende wird es gut sein“, gibt sich Youssef optimistisch.

Lange Zeit lebte er im multikulturellen Paris. Die Entscheidung für die französische Hauptstadt war der vielleicht wichtigste Schritt seiner Karriere. „In Paris spiele ich in den schönsten und größten Häusern. Etwa dem Olympia. Dort habe ich oft mehr Publikum als bekanntere Namen.“ In Wien hingegen, in das er mit 19 Jahren kam, musste er sich als Tellerwäscher und Kellner durchbringen. „Ich habe wohl alles außer Drogenhandel und Prostitution gemacht, um mich musikalisch auf die Beine zu bringen. Ich denke oft an die Zeit, als ich mit Achim Tang, Otto Lechner und Jatinder Thakur im Café Vorstadt gespielt habe.“ In Wien habe er auch den Wein lieben gelernt. „Manchmal denke ich mir, das war die schönste Zeit. In Wien hat alles für mich begonnen.“ Sein erstes Album wurde bei dem einstigen Wiener Label Extraplatte veröffentlicht. Das aktuelle Werk ist hingegen bei dem renommierten amerikanischen Label Okeh herausgekommen. Dorthin vermittelt hat ihn allerdings ein Wiener, der bis vor wenigen Jahren noch das europäische Jazzdepartment von Universal Music dirigiert hat. Heute zieht Wulf Müller als Freelancer von Madrid aus immer noch schönste Fäden. „Er glaubte schon früh an mich. Das tat gut.“ Solch langjährige Freundschaften wie jene zu Müller schätzt Youssef über die Maßen. Relativ neu für ihn sind die musikalischen Begegnungen mit den Allergrößten. Jüngst stand er mit Wayne Shorter auf der Bühne, demnächst spielt er in der Band von Herbie Hancock in Kuba.

Haus am Meer. „Wayne Shorter und Herbie Hancock haben die Austrahlung von Propheten. Sie sind überdies bescheiden – und neugierig.“ Eine vergleichbare positive Einstellung würde sich Youssef auch in Mitteleuropa wünschen. Dass Deutschland so viele Flüchtlinge aufgenommen hat, findet er gut. „In zwanzig Jahren wird das heute überaltete Deutschland zu den Gewinnern dieser Krise zählen. Leider gibt es unter den Neuankömmlingen nicht nur Heilige. Das ist ein ernstes Problem. Trotzdem finde ich, sollte man mehr die positiven Seiten dieser Entwicklung hervorheben.“ Seine neue Musik ist jedenfalls voll positiver Energie. Youssef selbst, österreichischer Staatsbürger, lebt heute wieder in seiner ursprünglichen Heimat Tunesien. Damit hat sich ein Kreis geschlossen. Sein Haus steht in Sidi Bou Said, einer bei Touristen sehr beliebten, fast pittoresk schönen Stadt am Meer. Als Musiker definiert er sich als Weltreisender, als Mensch ist er heimgekehrt. Musik ist für ihn das Elixier des Lebens, sogar eine Art Religion. „Musik ist ein Medium der Transparenz. Sie erlaubt dir, dass alles Steife und Undurchdringliche flexibel und durchlässig wird. Wir leben in einem Zeitalter der Kon­traste. Niemanden scheint es zu kümmern, dass ein Politiker an einem Tag etwas proklamiert und am nächsten Tag anderer Meinung ist. Meine Musik will die Widersprüche unserer Welt herausarbeiten, bewusst machen und damit auflösen. Im Leben müssen wir die Spannung zwischen dem Genialen und dem Dummen, dem Guten und dem Schlechten aushalten. Egal, wohin das Pendel ausschlägt, die Musik bietet einen Ausgleich."

Tipp

Dhafer Youssef. 14. März, 21 Uhr, Wiener
Konzerthaus. konzerthaus.at

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