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Liam Gallaghers erstes Soloalbum: Mehr Schmerz als Wut

Der virtuos raunzende Liam Gallagher raunzt jetzt allein: „As You Were“ ist letzte Woche erschienen.
Der virtuos raunzende Liam Gallagher raunzt jetzt allein: „As You Were“ ist letzte Woche erschienen.(c) Warner Music
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Er war die markante Stimme von Oasis, nun veröffentlicht Liam Gallagher sein erstes Soloalbum. Ein hörenswerter Versuch, den Dauerzwist mit Bruder Noel zu bemeistern.

Die meisten erfolgreichen Bands werden von einer Art bösem Mechanismus vorangetrieben. Prototypisch war das schon bei den Bands der Sechzigerjahre auszumachen. Die Kunst der Rolling Stones profitiert vom Konkurrenzverhältnis zweier eigentlich einander ausschließender Lebensphilosophien. Mick Jaggers anpasslerischer Hedonismus trifft da auf Keith Richards' fröhliche Selbstzerstörung. Den meisten Jagger/Richards-Songs wohnen beide Elemente inne. Bei den Beatles verbesserte Lennon die Songs von McCartney und McCartney jene von Lennon.

Das Ergebnis waren Lieder, mit denen wohl keiner der beiden restlos zufrieden war, dafür haben sie die halbe Welt glücklich gemacht. Und bei den Kinks schließlich war es ein permanenter Kampf unter den Brüdern Ray und Dave Davies, der die kreativen Säfte fließen ließ. Obwohl Ray das geniale Mastermind punkto Songarchitektur war, glückten auch dem störrischen Bruder David Klassiker wie „Death Of A Clown“.

Die wirklich klugen Bands ertragen diese Spannung, weil sie um die Einmaligkeit der jeweiligen Konstellationen wissen. Während es die Beatles nur knappe 10 Jahre gegeben hat, rocken die Rolling Stones trotz aller Querelen bereits seit 55 Jahren.

Oasis, die 1991 von den Brüdern Noel und Liam Gallagher gegründete, erfolgreichste Band des Genres Britpop, hielt immerhin 18 Jahre durch. Angetrieben wurde sie zu einem nicht unbeträchtlichen Teil durch einen auf die Spitze getriebenen Bruderhass, der in erster Linie von Sänger Liam ausgegangen ist. Ende August 2009 zerstörte er die Band endgültig. Kurz vor einem Auftritt bei einem Festival in Paris gipfelte ein Streit in Tätlichkeiten. Liam zertrümmerte sogar eine von Noels Gitarren.

Er konnte nichts als singen

Das war das Ende von Oasis und der Beginn einer bis heute währenden Lebenskrise für Liam Gallagher. Als Schulabbrecher, der nichts anderes als das Singen gelernt hat, musste er sich neu orientieren. Erfolgreich war er mit der Gründung seines Mod-Modelabels Pretty Green, das auch eine schmucke Filiale in der Londoner Carnaby Street hält. Nicht ganz so glorreich verlief die Strategie, einfach mit den Oasis-Musikern ohne Noel weiterzumachen, als wäre nichts passiert. Unter dem Nom de Guerre Beady Eye glückte ihm bestenfalls eine Art Weiterverwaltung der ruppigen Ästhetik von Oasis. Mit „The Roller“ gelang ihm zwar ein kleiner, an alte Tage erinnernder Hit. Doch Liams Songs waren deutlich blasser als jene von Noel, der das Gros der Oasis-Hits komponiert hatte. Beady-Eye-Songs mangelte es an jenen eingängigen Riffs, die Oasis-Songs wie „Don't Look Back In Anger“ und „Wonderwall“ zu Welthits gemacht hatten. Im Oktober 2014 gab Liam Gallagher bekannt, dass sich Beady Eye aufgelöst haben.

Wie erwartet, ist einem Liam Gallagher eine Existenz als Textilkaufmann zu wenig. Der auf sympathische Art großmäuligste Sänger seiner Generation wollte unbedingt weitermachen. Den Phantomschmerz, an dem er seit Auflösung von Oasis leidet, hat er diesmal gut kanalisiert. Sein Soloalbum „As You Were“ klingt überraschend peppig. Zwei gewiefte Amerikaner sind für die hohe Güte der Songs verantwortlich. Der eine ist Multiinstrumentalist Greg Kurstin, der sich als Kopf des Musikprojekts The Bird And The Bee genauso gute Reputation verschafft hat wie mit dem Komponieren von Welthits wie Adeles „Hello“. Der andere ist Andrew Wyatt, selbst ein mächtiger Sänger, der unter anderem für die schwedische Elektronikband Miike Snow am Mikrofon agiert.

Reime aus dem Beatles-Songbook

Als Komponist und Arrangeur arbeitete er auch mit Carl Barat, Mark Ronson, Bruno Mars. Auch er ist ein Mann, der die Glaubwürdigkeit eines Undergroundmusikers mitbringt und gleichzeitig keine Scheu vor der Hitparade hat. Kurstin und Wyatt schufen dem virtuos raunzenden Gallagher das ideale Klangbett.

Die zum Teil opulent arrangierten Lieder auf „As You Were“ haken sich rasch in die Gehörgänge. Gallaghers markante Gesangsstimme wird von Bläsern und zeitweilig auch von Geigen umrankt. Das suggeriert eine so nie zuvor wahrgenommene Nähe zu John Lennon. Diese gipfelt im stillen „Chinatown“ in einem Zitat: „Well the cops are taking over while everyone's in yoga – cause happiness is still a warm gun“, heißt es in Anspielung auf den berühmten Beatles-Song vom Weißen Album.

Vor acht Jahren durfte Beatles-Freak Gallagher, der sogar seinen Sohn „Lennon“ taufen ließ, der Lennon-Witwe Yoko Ono in New York seine Aufwartung machen. Dass ihm dabei ein Keks in den Tee fiel, ist ihm heute noch peinlich; dass er sich weiter im Beatles-Songbook bedient, nicht. „Angels give me shelter“, bittet er im virilen Rocker „You Better Run“ und reimt mit „It's all gone helter skelter“, einem weiteren Beatles-Diktum. Positiv ist, dass mit „Wall Of Glass“ und „For What It's Worth“ richtige Hymnen glückten.

Der ruppige Kerl gibt sich darauf erstaunlich einsichtig, was eigene Fehlbarkeiten anlangt. „In my defense, all my intentions were good“, verteidigt er sich. Eine dicke Träne aus alten Zeiten – wie im berühmten Gedicht „Die Heimkehr“ von Heinrich Heine – trübt ihm freilich immer noch den Blick. Was eine Reunion der feindlichen Brüder anlangt, halten einander wohl immer noch Hoffnung und Grauen die Waage.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.10.2017)

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