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Till Brönner: "Gefühl, dass die Zeit still steht": Jazz der Nacht

„Es war sicher etwas anderes, Jazz in einer Zeit zu spielen, in der das das Hippste war, was du tun konntest.“ Die Musik des deutschen Trompeters Till Brönner atmet die Melancholie des Spätgeborenen. Und der Nacht: „Nightfall“ heißt sein neues Album.
„Es war sicher etwas anderes, Jazz in einer Zeit zu spielen, in der das das Hippste war, was du tun konntest.“ Die Musik des deutschen Trompeters Till Brönner atmet die Melancholie des Spätgeborenen. Und der Nacht: „Nightfall“ heißt sein neues Album.(c) Chris Noltekuhlmann
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Till Brönner, der international bekannteste deutsche Jazzmusiker, sprach mit der „Presse“ über die Vorzüge der dunklen Stunden, Leonard Cohens Billigsounds und den Mangel an Lässigkeit im deutschen Jazz.

Viele erinnert sein Spiel an Chet Baker. Und „Chattin' With Chet“ (2000), eine subtile Hommage an diesen, war auch der erste große Erfolg des 1971 in Viersen (Nordrhein-Westfalen) geborenen Till Brönner. Der in der Folge oft die Genres wechselte: Unter der Regie des US-Produzenten Larry Klein nahm er superbe Pop-, R&B- und Brazil-Alben auf, die das orthodoxe Jazzpublikum verschreckten. Auch auf seinem neuen Duo-Album mit dem Bassisten Dieter Ilg wechselt er elegant die Stile. „Nightfall“ strahlt große Ruhe aus, fast als beherzigten die Musiker ein Diktum von Debussy: „Musik, das ist die Stille zwischen den Noten.“

„Die Presse“: „Nightfall“ heißt Ihr neues Album. Ist der Einbruch der Nacht die ideale Zeit für den Jazz?

Till Brönner: Ja, dafür gibt es viele Belege. Persönlich betrachtet ist es so, dass ich viele meiner schönsten Momente weit nach Mitternacht habe, wenn mir die Außenwelt keine Kommunikation mehr aufdrängt. Da habe ich das Gefühl, dass die Zeit still steht.

Fällt Ihnen auch das Komponieren in der Nacht leichter?

Nicht prinzipiell, aber zuweilen. Manch musikalische Idee bekommt erst nachts eine Chance, wenn sie einem länger im Kopf herumspuken kann.

Die Auswahl der Stücke auf „Nightfall“ ist aufreizend heterogen. Warum?

Weil die Reduktion auf diesen intimen Klang von Trompete und Kontrabass viel möglich macht. Wir wollten großzügig, aber nicht sorglos mit den Impulsen umgehen, aus denen wir schöpfen. Sogar unsere Kindheit kam ins Spiel, als wir am Schluss noch das evangelische Lied „Ach, bleib mit deiner Gnade“ von Melchior Vulpius aufnahmen.

Sie covern auch den späten Leonard Cohen mit „A Thousand Kisses Deep“. Haben Sie ein Naheverhältnis zu seiner Kunst?

Wer hat denn keines? Seine Kombination aus Melancholie und Zynismus war für mich immer sehr einnehmend. Die Playbacks mancher seiner Alben waren allerdings ein Schlag ins Gesicht. Doch bei ihm strahlen noch die ärgsten Billigsounds eine gewisse Würde aus.

Am anderen Ende der Skala steht „Scream & Shout“ von will.i.am und Britney Spears. Ist es leicht, aus aktueller Hitparadenware ein Jazzstück zu formen?

Dieser Frage haben wir uns gar nicht gestellt. Wir waren getrieben von der Lust, den roten Faden zum Reißen zu bringen. Wir wollten ein Album machen, das zum Durchhören einlädt, aber dich auch streckenweise herausfordert oder sogar zum Skippen verleitet.

Als einziger Deutscher hatten Sie 2016 die Ehre, von US-Präsident Obama zum International Jazz Day ins Weiße Haus eingeladen zu werden. Wie war das?

Spannend war es vor allem zu sehen, was diese Einladung mit den amerikanischen Kollegen machte: Die waren noch viel tiefer bewegt als wir ausländischen Gäste. So etwas hatte es davor nicht gegeben: Unter Obama wurde den afroamerikanischen Genres und ihren Vertretern erstmals von offizieller Stelle tiefer Respekt gezollt. Unter Trump ist das nicht mehr vorstellbar.

Vor einigen Jahren habe ich Bill Ramsey nach dem Unterschied zwischen amerikanischen und deutschen Jazzmusikern gefragt. Er meinte, dass den Deutschen die Lässigkeit fehle. Wie sehen Sie das?

Da hat er recht. Aber ich würde es ein bisschen präzisieren. Die Amerikaner machen schon sehr früh in der Highschool Bekanntschaft mit dem Jazz. Der ist dort genauso populär wie Sport. Die denken nicht nach, die machen einfach. Diese Selbstverständlichkeit hört man. In Deutschland gibt es immer so eine kleine Schrecksekunde, bevor es zu grooven beginnt.

Ist im Jazz die Zeit der originellen Klänge vorbei?

Es sieht ganz danach aus. Es war sicher etwas anderes, Jazz in einer Zeit zu spielen, in der das das Hippste war, das du tun konntest. Die Aura des Jazz von damals machte sicher auch aus, dass man noch in der Lage war, musikalische Gesetze zu brechen. Irgendwann konnte nichts mehr zerstört werden, dann musste die Besinnung einsetzen. Damit änderten sich alle Koordinaten. Diese Frage bringe ich ein bisschen mit Michael Brecker in Verbindung: Er war ein großartiger Musiker, aber selbst in seinen virtuosesten Momenten erreichte er nie die Tiefe eines Sonny Rollins. Heute gibt es kaum noch Musiker, denen es gelingt, innerhalb von zwei, drei Sekunden erkennbar zu sein. Bei aller Virtuosität, die es da draußen gibt, ist es am Ende der Klang, mit dem du dich in die Bücher schreibst.

Und was tun Sie für die Weiterentwicklung des Jazz?

Die Frage, ob ich das Genre weiterentwickeln kann, stelle ich mir nicht. Die halte ich für Hybris. Für mich habe ich festgestellt, dass gerade in Momenten, wo ich Stagnation befürchtete, oft das meiste passiert ist. Statt Veränderung um der Veränderung willen zu praktizieren, will ich lieber das kultivieren, was mich ausmacht. Meine Devise ist: Ich muss mir selbst näher kommen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.01.2018)

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