Pop

Kris Kristofferson: Poet, Prophet, Pilger und Prediger

Kris Kristofferson.
Kris Kristofferson.(c) Ash Newell Photography
  • Drucken

Kris Kristofferson, der in zahllosen Filmen und Songs die Widersprüche des American Way of Life aufzeigte, gastiert beim Jazz Fest Wien.

„God almighty, here I am. Am I where I ought to be? I’ve begun to soon descend like the sun into the sea. And I thank my lucky stars from here to eternity, for the artist that you are and the man you made of me.“ So formulierte Kris Kristofferson seine Gefühle bezüglich der eigenen Sterblichkeit vor sechs Jahren. „Feeling Mortal“ hieß der Song und auch das Album, auf dem er über die eigene Hinfälligkeit meditierte. „Ich vergesse schön langsam mein Leben“, meinte er ein paar Jahre vorher im Gespräch mit dem „Kulturmagazin“, „ich sollte meine Biografie schreiben“.

Auf dieses Buch warten die Fans noch heute. In der Zwischenzeit haben andere begonnen, die Geschichte dieses Pioniers der Alternative-Country-Bewegung zu erzählen. Stephen Miller nannte die Betrachtungen, die er über den singenden und schauspielernden Charismatiker Kristofferson anstellte, „The Wild American“, Mary G. Hurd die ihrigen „Country Highway“. Beides sind willkommene und lesenswerte Platzhalter bis zu jenem Tag, an dem sich Kristofferson tatsächlich dazu aufrafft, seine Autobiografie zu veröffentlichen. Bis dahin muss man mit jenen Spiegelungen seines Selbst vorliebnehmen, die aus Hunderten von gehaltvollen Songs reflektieren.

Job als Hausmeister. Oder über die biografischen Eckdaten meditieren, die da wären: Kris Kristofferson wurde 1936 als Sohn eines Luftwaffengenerals in Brownsville, Texas geboren und nach Zeiten als Oxford-Student und Helikopterpilot in der Armee schließlich so von der Musik infiziert, dass er unter dem Eindruck von Hank Williams’ Œuvre beschloss, Liedermacher in Nashville zu werden. Anfangs übernahm er sämtliche möglichen Jobs, um dem Prozess des Musikmachens auf die Spur zu kommen. So war er etwa Hausmeister der Columbia Studios, just als Bob Dylan „Blonde on Blonde“ aufnahm. Bob Neuwirth machte den vielversprechenden jungen Troubadour mit Janis Joplin bekannt, die kurze Zeit später ihren einzigen Nummer-eins-Hit aufnahm: Kris Kristoffersons „Me and Bobby McGee“. Innerhalb weniger Jahre schrieb Kristofferson seine berühmtesten Songs, wie etwa „Sunday Morning Coming Down“ (durch Johnny Cash zur Nummer eins gemacht), „For the Good Times“ (durch Al Green berühmt geworden) und „Help Me Make it Through the Night“, das in Kristoffersons Originalversion unsterblich wurde.

Seine Alben für Monument, „Kristofferson“, „Silver Tongued Devil and I“, „Border Lord“, „Jesus was Capricorn“, und sein späteres Schaffen mit Rita Coolidge, wie etwa „Full Moon“, brachten ihn geradewegs in die Hall of Fame. Seine Lieder wurden vielfach gecovert. Dennoch kam es immer wieder zu veritablen Schaffenskrisen, die letztlich dazu führten, dass der Liedermacher aus Aberglauben die Bezeichnung „Writer“ aus seinem Reisepass streichen ließ. In diesen Phasen der kreativen Leerläufe befasste sich der Künstler mehr und mehr mit dem Film. Er war beteiligt an Dennis Hoppers „The Last Movie“, schrieb einige Songs für „Ned Kelly“. Als Schauspieler war er in „Pat Garrett and Billy the Kid“, „Bring Me the Head of Alfredo Garcia“, „Alice Doesn’t Live Here Anymore“ und „A Star Is Born“ (mit Barbra Streisand) erfolgreich. Ein weiteres künstlerisches Highlight war der epische Michael-Cimino-Streifen „Heaven’s Gate“ (1980).

Die Kraft weniger Akkorde. Der von 1973 bis 1979 mit der Sängerin Rita Coolidge Verheiratete bildete in den frühen 1980er-Jahren auch mit seinen Freunden Johnny Cash, Waylon Jennings und Willie Nelson die All-Star-Formation The Highwaymen. Immer wieder brachte Kristofferson, dieser Balladier der Besitzlosen und Enttäuschten, hochkarätige Alben heraus, die hinsichtlich ihrer Intensität an das Frühwerk anschlossen. So etwa das 1995 veröffentlichte „Moment of Forever“ oder 2006 „This Old Road“. Das Liebhaberlabel „Lights In The Attic“ brachte 2010 ein Doppelalbum mit jenen Demoaufnahmen he­raus, mit denen sich Kristofferson einst in Nashville bei den Labels beworben hatte.

Darunter waren schon Songs wie „Come Sundown“, „Just the Other Side of Nowhere“, „Duvalier’s Dream“ und „Me And Bobby McGee“, mit seiner einprägsamen Definition von Freiheit: „Freedom’s just another word for nothin’ left to lose.“ Ein anderes schönes Zitat aus demselben Song betont ganz konkrete Sehnsucht: „I’d trade all of my tomorrows for a single yesterday to be holdin’ Bobby’s body next to mine.“ Solche gefühlvollen Formulierungen sind Quintessenz einer Liederkunst, die die Bedürfnisse des Mangelwesens Mensch mit sympathisch kargen Mitteln poetisiert hat.

Mit der urtümlichen Kraft weniger Akkorde macht Kristofferson in der Regel mit der Dialektik von Selbstverlust und Selbstwerdung, mit dem versteckten Zusammenhang von Leid und Ekstase bekannt. Mit den berühmten Zeilen im Song „The Pilgrim: Chapter 33“, einer Ode an seine Helden von Johnny Cash bis Dennis Hopper, meint er am Ende wohl auch ein wenig sich selbst: „He’s a walking contradiction, partly truth, partly fiction.“

Kritische Äußerungen. 82 Jahre wird der romantische Barde heuer im Juni alt, genau eine Woche nach seinem Auftritt beim Jazz Fest Wien. Gegen den bald 94-jährigen französischen Chansonnier Charles Aznavour ist er damit beinah noch ein Jungspund. Allerdings muss man sagen, dass die Jahre markantere Spuren an ihm hinterlassen haben als an manch anderem Kollegen. Sein eindrucksvoll gefurchtes Antlitz bestätigt das, was man aus seiner Biografie kennt: Dieser Mann hat das Leben in jeder Hinsicht voll ausgeschöpft.

Die Jahre haben auch seine Stimme verändert. Der charismatische Bassbariton ist etwas brüchig geworden. Er ist aber immer noch so flexibel, dass er den schön gewundenen Melodien folgen kann. Es wäre schön, wenn Kristofferson, der sich in seiner langen Karriere immer wieder kritisch geäußert hat, was Politik anlangt, noch ein, zwei Songs gegen den derzeit hochkommenden Rechtspopulismus gelängen. Seine Beobachtungsgabe und seine pointierte Formulierkunst prädestinieren ihn geradezu dafür, das Desaster der Trump’schen Präsidentschaft in einen oder mehrere Songs zu fassen. Kristofferson, dem die traditionell konservativ eingestellte Country-Fangemeinde sein politisches Engagement in den 1980er-Jahren krummnahm, könnte noch einmal in aller Schärfe nachlegen.

Tipp

Kris Kristofferson. Wiener Stadthalle, 15. Juni.
Jazz Fest Wien, 15. Juni bis 10. Juli. www.jazzfest.wien

("Die Presse", Kulturmagazin, 13.04.2018)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.