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Mit Abakus und kurzen Hosen: Jubel für Ed Sheeran

Archivbild: Sheeran bei einem Auftritt in Auckland
Archivbild: Sheeran bei einem Auftritt in Auckland(c) Getty Images (Phil Walter)
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Freundlichkeit siegt: Mit ihr und seinen eingängigen Liedern sorgte Ed Sheeran beim ersten von zwei ausverkauften Konzerten im Wiener Stadion für die erwartete Begeisterung.

In Zeiten wie diesen, wo der äußerlichen Anmutung von Popsongs gerne mit elektronischem Doping nachgeholfen wird, erkennt man die Qualität eines Liedes daran, dass man es mit der Klampfe am Lagerfeuer spielen kann. Mit Ed-Sheeran-Songs geht das ganz leicht. Sie sind gemütlich, aber auch praktisch wie die kurzen Cargo-Hosen, die der aus dem britischen Halifax gebürtige Singer-Songwriter vorzugsweise trägt. Beim ersten seiner beiden – selbstverständlich ausverkauften – Wiener Stadionkonzerte trug er allerdings eine andere Form von kurzem Beinkleid. Irgendwas Turnhosenartiges, dass unbedingt lagerfeuertauglich war.

Hört man sich seine eingängigen Lieder an, so scheint es, als ersinne der 27-Jährige sie statt auf einer komplexen Rechenmaschine auf einem simplen Abakus. Diesem fast vergessenen drolligen Gestell mit seinen farbigen Kugerln, das der Menschheit jahrtausendelang als mechanisches Rechenhilfsmittel gedient hat. Jetzt hilft es offenbar Ed Sheeran. Seine bisherigen drei Alben hat er nach Grundrechnungsarten benannt. Aber es ist nicht ausgemacht, dass jetzt nach Addieren (2011), Multiplizieren (2014) und Dividieren (2017) unbedingt Subtrahieren kommen muss. Mit dem Abakus kann man auch Quadrat- und Kubikwurzeln ziehen. Lassen wir uns also überraschen . . .

Pseudonachdenklich: Jamie Lawson

Live verzichtet Sheeran auf jegliche Volten. Auf der aktuellen Tour spielt er stets dieselbe, dramaturgisch optimierte Setlist. Selbst sein Vorprogramm war leicht ausrechenbar. Zunächst arbeitete sich Jamie Lawson, Sheerans Songwriterkollege aus weniger erfolgreichen Tagen, durch eine Reihe pseudonachdenklicher Songs. Manchmal kam sogar etwas Stimmung auf. „The Only Conclusion“, wiewohl rhythmisch ein wenig hatschert, stach durch eine hübsche Melodie aus dem Einheitsbrei heraus. Es gibt offenbar Lieder, die sich erfolgreich gegen alle Mainstreamoptimierungsstrategien ihrer Schöpfer wehren. So manch Esoteriker meint ja, dass die Lieder in der Luft hängen und sich ihre Interpreten aussuchen. „Du musst nur hingreifen und sie dir schnappen“, sagte sogar Tom Waits einmal im Gespräch mit der „Presse“.

Proletarischer Charme: Anne-Marie

Dabei tut sich Anne-Marie, der zweite Support-Act dieses Abends, offenbar leichter als Lawson. Vielleicht auch wegen bequemen Schuhwerks: Die Poppiepse mit dem einnehmenden proletarischen Charme trägt nämlich vorzugsweise Sneakers und ist bekannt für elegant geschnittene Pop-Couture. Den Fluch, dass sie nur als Gastsängerin anderer Projekte Nummer-eins-Hits schafft, hat sie zwar noch nicht ganz abgeschüttelt, aber mit Ohrwürmern wie „Alarm“ und „Trigger“ bewies sie, dass mit ihr zu rechnen ist. Ihre Stimme, die vorzugsweise von einem ächzenden Klageton in hellstes Jubilieren umschlägt, ist ideales Vehikel für rasch wechselnde Teenagergefühlslagen. In „Perfect“ fragt sie sich, wie weit sie für das Gefühl gehen soll, das ihr andere aufgrund von Äußerlichkeiten geben. Mit neckischem Hüftschwung ermutigte sie ihre jungen Hörer zu Widerstand gegen Kosmetikindustrie, Diäten und Schönheits-OPs. „Don't feel like putting makeup on my cheeks, do what I wanna, love every single part of my body“, sang sie, bevor die Massen freudig in den Refrain – „I'm okay with not being perfect“ – einstimmten. Spätestens bei ihren Hits „Rockabye“ und „Friends“ war das Publikum für den Hauptact warmgespielt.

Wehmütig: "Castle On The Hill"

Dann endlich, kurz vor 21 Uhr, begann das beängstigend laute Willkommensgekreische von 55.000 Zusehern. Da war er, der Ginger Boy. Angstfrei blickte er ins riesige Oval. Mit nichts anderem im Köcher als einer Gitarre, einer Loop-Machine und seiner rauen Stimme machte er Jagd auf die Herzen. Die boten sich ihm willig dar. Er eröffnete mit „Castle On The Hill“, einer wehen Reminiszenz an unschuldige Kindertage. Darin erinnert er sich, wie er einst bei Elton Johns „Tiny Dancer“ während einer Autofahrt über Landstraßen mitgrölte. Dass er nur wenige Jahre später in der gleichen Liga spielen werden würde, hatte er sich nicht ausgemalt. Seinen Aufstieg zum Weltstar hatte er wohl nicht einmal in seinen kühnsten Träumen imaginiert.

Und so fand sich der Sprößling der nordenglischen Moorlandschaften 2017 bei der Grammy-Verleihung an der Seite der glamourösen R&B-Sängerin Beyoncé wieder: Dort sang er mit ihr vor Millionenpublikum den Stevie-Wonder-Hit „Masterblaster“. Das war so soulful, dass es sogar den anwesenden Stevie Wonder vor Vergnügen schüttelte. Da mussten auch jene, die Sheeran vorwerfen, zu brav zu sein, einmal still sein.

Von ihnen, den Zweiflern, war aber im Stadion ohnehin nichts zu sehen. Erwartungsgemäß war es ein Heimspiel. Vertrauensvoll verhedderte sich Sheeran immer wieder in langen Monologen zwischen den Songs. Waren die Finger aber einmal am Arbeitsgerät, dann ging es flugs Richtung Euphorie. Die Hits prasselten nur so in die Ohren: Das fragile „The A Team“, das mitreißende „Sing“, selbstverständlich auch sein unwiderstehlich groovender Megahit „Shape Of You“. Da wackelten jetzt alle mit. Die Kunst des Ed Sheeran besteht ja darin, die Details einer komplizierten Welt in simple Lieder einzuschmelzen. Dass die trotzdem noch eine Art Geheimnis in sich tragen, macht den Erfolg aus. Die sonst in der Popmusik so gern gepflegte Dichotomie zwischen Mainstream und Minderheit löst sich bei Ed Sheeran in universellem Wohlgefallen auf. Manchmal zahlt sich Freundlichkeit eben aus.

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