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Frequency: Rapper, die keine Gangster sind

(C) Division
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Yung Hurn aus Wien, RIN aus Württemberg: Beim Festival in St. Pölten gastieren auch zwei Vertreter des Cloud Rap. Dieser Stil ist gewitzter, als er zunächst klingen mag.

Endlich wieder ein Musikstil, der Erwachsene so richtig nervt! Cloud Rap heißt er – nach der Soundcloud, der Internetplattform, bei der die Cloud Rapper ihre Tracks veröffentlichten, lange bevor sie physische Tonträger zu bespielen begannen – und ist ein aus süßlichen Synthiemotiven, Zeitlupenbeats und fiepsigem Gesang gebastelter Hip-Hop-Bastard.

Was macht das Genre für ältere Pophörer so herausfordernd? Zunächst der hemmungslose Einsatz von Auto-Tune: Die Cloud Rapper reizen diese – ursprünglich als Hilfestellung für unsichere Sänger zur Tonhöhenkorrektur entwickelte – Technik bis zum Exzess aus, verschmieren damit jede Melodie. Das zieht so manchem Hörer den letzten Nerv. Aber es schenkt den Stücken jene artifizielle Anmutung, die die teilweise schnulzenhaften Texte in den Liebesliedern erst erträglich machen.

Do-it-yourself-Ästhetik

Die Lyrics sind überhaupt ein Problem für sich. Oberflächlich rezipiert, bieten sie nichts als einen krassen Mix aus Markenartikelfetischismus, Drogenabusus und schnellem Sex. Auf die Subtilitäten kommt man erst nach vielfachem Hören. Das tun sich nicht alle an. Und viele Cloud-Rap-Skeptiker übersehen, dass dieses Genre vom Do-it-yourself-Geist des Punk geprägt ist. Das sieht man auch in den Videos mit ihrer charmant verzitterten Low-Budget-Ästhetik. Auch hier bekommt man so manch klandestine Botschaft nicht beim ersten Mal mit.

Die Vorbilder der deutschsprachigen Cloud Rapper kommen aus den USA, zu ihnen zählen Lil B, Playboi Carti, Lil Yachti, aber auch R&B-Sänger Frank Ocean. Ihr Feindbild sind die etablierten Gangster-Rapper, deren Lieblingsthemen Gewalt und dicke Autos sind. Die Europäer sind hier nicht so konsequent und schwärmen zuweilen doch vom fetten Benz. Generell aber verweigern Cloud Rapper möglichst viele Normen, die der Hip-Hop in den letzten 40 Jahren entwickelt hat. Es wird kaum gereimt. Auf Tanzbarkeit wird kein besonderer Wert gelegt. Vielmehr macht sich die große existenzielle Wurschtigkeit breit.

Eine ganze Apotheke in den Texten

Statt von einer glücklichen Beziehung zu fantasieren, wird meist mit wenigen, dafür pointierten Worten schneller Sex propagiert oder vom raschen, chemischen Kick geschwärmt. In den oft provozierend langsam gesungenen Wortkaskaden flirren Namen von Drogen, die sonst nur Apothekern bekannt sind. So singt der schwäbisch-bosnische Cloud Rapper RIN (recte: Renato Simunovic) in „Monica Bellucci“: „Shawty ist so high und sieht Liebe überall, ey yeah, Shawty fühlt sich so allein und deshalb schmeißt sie noch ein Teil.“ Was hier euphemistisch als „Teil“ bezeichnet wird, ist die gemütsaufhellende Droge Ecstasy, an anderer Stelle liebevoll „Molly“ genannt. „Sie will mit mir fahren, mit mir heim, Promethazin, keine Lines, keine Lines“, singt RIN in „Nike“. Kokain, Crystal Meth und den Angstlöser Xanax – alles lobt er, als handle es sich um harmlose Smarties: Sein aktuelles Mixtape „Planet Megatron“ ist nichts für labile Hörer. Aber vielleicht ist dieses ganze Drogen-Dada nur eine Art Abwehr gegen die „Schaffe, schaffe, Häusle baue“-Ideologie seiner schwäbischen Heimat? Jedenfalls gegen die „Classic Old Dudes“, also die etwas peinlichen älteren Herren, die als „COD“ in seinem Stück „One Night“ vorkommen.

In der ebenso minimalistisch wie kunstvoll ersonnenen Gegenwelt seines Wiener Kollegen Yung Hurn geht es hingegen oft um Wodka und Kokain. Vor wenigen Wochen schoß sein offizielles Debütalbum, „1220“, auf Platz zwei der deutschen Hitparade, nur Helene Fischer war stärker. Das zeigt die Marktrelevanz dieses Genres, das sich dem Musikmarkt zu Beginn komplett verweigerte und all seine Früchte gratis ins Netz stellte.

Mittlerweile sind auch viele von Yung Hurns frühen Songs auf Vinyl erhältlich. Darunter „Bianco“, der Smash-Hit, den er 2016 gemeinsam mit RIN ersonnen hat. Leider ist ein Duett beim Frequency Festival eher unwahrscheinlich: Sie treten zwar beide auf, aber an verschiedenen Tagen.

Frequency Festival: von 16. bis 19. August bei St. Pölten. Yung Hurn tritt schon am Donnerstag um 20 Uhr auf, RIN am Freitag um 17 Uhr. Der in der Schweiz geborene, aber in Wien aufgewachsene Rapper RAF Camora – der in „5 Haus“ über den Wiener Bezirk Rudolfsheim-Fünfhaus rappt – kommt am Freitag um 20 Uhr, Left Boy vulgo Ferdinand Sarnitz am Samstag um 20 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.08.2018)

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