Pop

Musikalischer Minimalismus, emotionaler Maximalismus

Étienne De Crécy
Étienne De CrécyAPA/AFP/THOMAS SAMSON
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Baxter Dury, Étienne De Crécy und Delilah Holliday überraschen auf dem Album „B.E.D.“ mit Poesie, Minimalismus und Punkattitüde.

Die Location des ersten Songs ist gut gewählt. Es ist der Jardin du Luxembourg, der schöne Pariser Park im Quartier Latin, der immer schon Bummelstudenten, junge Mütter und alte Philosophen angezogen hat. Hier spielt der Opener von Baxter Durys neuem Album. Der Protagonist streitet sich mit seiner schmaläugigen Geliebten. Sie zischt ihm regelmäßig ein lakonisches „Tais-toi“ entgegen, was soviel wie „Halt die Klappe“ bedeutet. Weiters trinkt sie ihm den bestellten Kaffee aus. Vermutlich im Pavillon de la Fontaine, dem einzigen Plätzchen in dieser Grünanlage, wo man sich laben kann. Dazu blubbern karge Beats, erzeugen elektronische Maschinen Geräusche, die wie beschleunigte Rotorenblätter klingen.

Mit Pariser Eleganz gleitet man in Baxter Durys sechstes Album. Das Neue daran? Es ist eine kollaborative Angelegenheit. Der Eigenbrötler, der seinem Vater Ian Dury (Erinnert sich noch jemand an dessen Hits „Sex and Drugs and Rock 'n' Roll“ oder an „Hit Me with Your Rhythm Stick“?) alle Ehre erweist, hat sich für „B.E.D.“ mit dem französischen House-Produzenten Étienne De Crécy und der britischen Sängerin Delilah Holliday zusammengetan, die sonst in der politischen Punkband Skinny Girl Diet wütet.

Flüstern statt schreien

Dass sie so hübsch flöten kann, hat keiner geahnt. Am wenigsten Holliday selbst. Sie haben es einfach ausprobiert. Wie alles auf dieser radikal kurzen CD. Sie dauert gerade einmal 19 Minuten und 15 Sekunden. „2 Minuten Songdauer sind eigentlich ideal, alles darüber bringt dich in Gefahr redundant zu werden“, sagt Dury todernst. Mit dem französischen Erfolgsproduzenten Étienne De Crécy verbindet ihn schon eine frühere gemeinsame Arbeit. Für das Album „Super Discount 3“ haben die beiden den kantigen Track „Family“ erarbeitet.

Wobei „arbeiten“ ein Terminus ist, den keiner der beiden mag. Man komme einfach ohne größere Pläne im Pariser Studio von De Crécy zusammen und schaue, was passiert. Nach Abschluss seines letztjährigen Erfolgsalbums „Prince of Tears“ fuhr Dury nach Paris. Er fühlte sich etwas leer, wollte experimentieren ohne irgendwelche Zielsetzung. „Immer wenn Probleme aufkamen, sind wir essen gegangen“, sagen die beiden. Eingängige Tracks fügten sich wie von Zauberhand. Jetzt holten die beiden Delilah Holliday als Sängerin hinzu. „Eigentlich hatten wir keine Ahnung, wie sie klingen wird, schließlich ist das, was sie sonst macht, total hardcore.“

Sogar Holliday war von sich selbst überrascht. „Für gewöhnlich schreie ich ja viel.“ Aber hier ging es um cooles Flüstern à la Gainsbourg und um betörendes Singen. Dury und De Crécy waren von ihr begeistert. Zurecht. Wie sich ihre helle, aufreizend langsam intonierende Stimme an Durys bekannt sonores Organ schmiegt, ist von ganz besonderer Qualität. „Die Person macht die Stimme aus, nicht die technischen Fähigkeiten oder die Länge eines Tons“, sagt Dury. Diese beiden markanten Stimmen mit elektronischem Minimalismus zu ehren, war De Crécy eine besondere Freude. „Ich mag das mehr als meine eigenen Arbeiten“, sagt er.

Soundideal: der frühe, naive Hiphop

Er treibt mit Equipment, wohl aus den achtziger Jahren, Durys kleine Geschichten über die Wonnen und Fehlschläge der Liebe ideal an. Gemeinsames Soundideal waren der frühe, naive Hiphop, der noch ohne Samples auskam und allein auf Synthesizern und Drummachines setzte. Ohrwürmer wie „Walk Away“ und „How Do You Make Me Feel“ erhalten ihre Wirkmacht gerade durch ihre knappen Melodien und ihren rhythmischen Minimalismus. Im Duktus eines fernöstlichen Weisen lobt Dury den Zauber des Schmucklosen. „Wenn es mit fast nichts funktioniert, dann funktioniert es richtig.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.12.2018)

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